: Gewalttätige Gespenster
Auch Bremen profitierte in der letzten Woche von den „Nordischen Literaturtagen“ in Hamburg: Was haben die Autoren davon, fragte die taz den Autor Ingvar Ambjörnsen? ■ Von Ingvar Ambjörnsen
Wenn ich in Norwegen von einer Zeitungsredaktion um einen Artikel gebeten werde, hat die Redaktion meistens finstere Hintergedanken. Zu Hause wissen sie nämlich, daß ich gern mit Tabuwörtern und Sarkasmen jongliere, und manche finden es lustig, den bissigen Hund Ambjörnsen auf die konservativen Postboten zu hetzen.
Nun gut. Aber hier, bei den Nordischen Literaturtagen in Hamburg, habe ich nicht das Bedürfnis, die Zähne zu fletschen. Ganz im Gegenteil. Das Literaturhaus hat einfach gute Arbeit geleistet. Und ich weiß das zu schätzen.
Ich bin aus einer Hauptstadt im hohen Norden hergekommen, in der einzelne Kommunalpolitiker sich damit brüsten, daß sie niemals Bücher anrühren, und behaupten, ein Theater brauchen wir nicht, solange im Lande noch ein Wanderzirkus existiert. Und obwohl nicht alle PolitikerInnen gleich bescheuert sind, so steht doch fest, daß es bei uns niemals „Deutsche Literaturtage“ oder
ähnliches geben könnte.
Während der zwei Nordischen Literaturtage, die bisher in Hamburg stattgefunden haben, haben sich viele von uns zum ersten Mal treffen können. Auch das ist ein wichtiger Aspekt dieser Literaturtage, jedenfalls für uns Gäste.
Noch wichtiger aber ist natürlich, was auf den vielen Lesungen geschieht. Wir lernen ein neues Publikum kennen das deutsche. Ich kann nicht sagen, ob es besondere Unterschiede zwischen einem deutschen und einem norwegischen Publikum gibt. Jedenfalls fühle ich mich auf diesen Lesungen wie zu Hause: Überall tritt ein altvertrautes Gespenst auf, das ich von zu Hause her noch gut kenne. Es sitzt normalerweise mitten im Saal, hat für keines seiner Manuskripte einen Verlag gefunden, sie sind einfach zu gut: Das Gespenst ist intelligenter als wir anderen zusammen und immer hat es eine gute Sache, die es mit glühemdem Eifer verficht. Der einzige Unterschied zwischem dem deutschen Gespenst und seinem norwegischen Bruder (es ist so gut wie nie eine Schwester)
besteht darin, daß die deutsche Variante zumeist nüchtern ist und deshalb so gut wie nie gewalttätig wird.
Am wichtigsten ist natürlich das übrige Publikum - und das erscheint zahlreich, ist interessiert und oft auch gut informiert über die Literatur der nordischen Länder. Die meisten Lesungen waren schlicht gerammelt voll. Natürlich erweckt eine Autorin wie Veslemöy Kejendsli mit ihrem Buch „Kinder der Schande“ über deutsch-norwegische Kriegskinder in der BRD großes Interesse. Weniger selbstverständlich ist es, daß vier hierzulande völlig unbekannte Lyriker und Prosa -Autoren es schaffen, die Zentralbibliothek zu füllen.
Viele stellen dann die Frage: Bringt das Ganze etwas? Unbedingt, lautet meine Antwort. Für uns im Norden hat der Weg zu einem größerem Publikum immer schon durch Deutschland geführt. Natürlich können diese Literaturtage keine Revolution bringen, die BRD wird danach nicht von Übersetzungen aus den nordischen Ländern überschwemmt werden. (...)
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