: Den Arm mit Köpfchen drücken
■ Am Wochenende fand die Erste Deutsche Meisterschaft der ArmdrückerInnen statt
Groß-Zimmern (taz) - Schiedsrichter Ulrich Derndorff hat alles für den Notfall in seinen Hosentaschen: Riechsalz und Armschlaufe. Letztere kommt zum Einsatz, falls am Kampftisch ein Arm brechen sollte.
Der Diplom-Ingenieur leitet den „1. Armdrückerverein Griesheim“ bei Darmstadt. Seit dem 25. Februar 1988 ist er als erster Verein seiner Art in der Bundesrepublik anerkanntes Mitglied des „Bundesverbandes Deutscher Gewichtheber e.V.“.
Wer bislang dachte, das Armdrücken sei eine typisch bayerische Bierzeltmarotte, konnte sich am Wochenende im hessischen Groß-Zimmern eines Besseren belehren lassen: Die über 60 männlichen Teilnehmer hatten wenig von ledergeschürzten bayerischen Urviechern. Kraftsportler waren es jedoch allemal, die um die Würde des erstmals ausgelobten Titels eines Deutschen Meisters drückten. Gestartet wurde am Samstag in der hierzulande noch jungen Sportart entsprechend den Gewichtsklassen des Bundesverbandes Deutscher Gewichtheber in vier Abteilungen: 60, 65, 75 (die meistgemeldete Klasse) und 85 Kilo Lebendgewicht. (Die Frauen ermitteln ihre Meisterin am Sonntag.) Für alle stand vor dem Wettkampf zunächst der unvermeidliche Gang zur Waage an.
Gedrückt wird an einem eigens dafür gebauten Tisch. Er ist dem US-amerikanischen Vorbild exakt nachempfunden: der Eigenbau kam billiger als ein US-Import. Geschmack an der professionellen Drückerei fanden die Südhessen ebenfalls in den USA. Vielmehr zunächst einer von ihnen.
Als „Rambo“ Sylvester Stallone in seinem Kinofilm Over the Tops ausnahmsweise mal keine Russen erschoß, sondern einen muskelbepackten US-amerikanischen Sonnyboy spielte, der als professioneller „Armdrücker“ das große Geld verdient, ließ er sich am Kampftisch doubeln. Eine für diesen Zweck über den Teich hergeholte Crew von Doubels hatte jedoch Pech: zwei Münchner Atheten wurde der Arm durch ihren jeweiligen Kontrahenten gebrochen. Günter Heiß, Bundesliga-Gewichtsheber aus Groß-Zimmern, kam über die Vorentscheidung nicht hinaus. Die US-amerikanischen Profiarme - dort gibt es eine eigene Profiliga - waren schlicht zu gut. Dafür ließ Heiß die Idee nicht mehr los, den Sport auch in der BRD populär zu machen.
Anders als in Bierzelten und an Stammtischen wird am Wettkampftisch stehend gedrückt. Die linke Hand findet Halt an einem seitlichen Griff. Der Ring um den Wettkampftisch ist abgesperrt. Die Extremitäten von Andreas und Thorsten, auf die es im Wettkampf ankommt, sind nackt. Weder Uhren, Ketten, Verbände noch Schweißbänder sind an der jeweiligen Rechten erlaubt. Eheringe, wenn sie denn nicht mehr vom Finger runter zu bekommen sind, dürfen nur mit Genehmigung des Gegners anbehalten werden. Bei Nichtzustimmung darf nicht gestartet werden. Die Fingernägel dürfen keine Krallen sein. Schiedsrichter Derndorff schaut die Kontrahenten in der Gewichtsklasse bis 75 Kilogramm kritisch an: Von der Größe her, dürfen beide ran. Bei 1,85 Meter Körpergröße geht nämlich nichts mehr: die Gürtellinie darf nicht höher sein als der Tisch. Unter 165 Zentimeter muß ein Höhenausgleich her, die Wettkämpfer müssen dann auf ein Podest. Die Wettkampfstätte ist auf einem Podium aufgebaut, zwecks besseren Überblicks klettern manche ZuschauerInnen, ihre Favoriten anfeuernd, auf die Stühle. Fast jeder Starter scheint den eigenen Fan-Club mitgebracht zu haben.
Die Startprozedur ist nicht einfach, für Sportler wie den Schnellstart-Zehnkämpfer Hingsen wäre sie vermutlich gar ein Buch mit sieben Siegeln: Nach den Regeln des Welt-Armdrücker -Verbandes (WAWC) sind zunächst, nachdem die „nicht kämpfende Hand den Haltegriff“ erfaßt hat, die Ellbogen in Polster zu setzen. Die Kampfhände werden vom Schiedsrichter in der Tischmitte ausgerichtet. Erst jetzt dürfen die Hände geschlossen werden, je nachdem wie schnell eine „zufriedenstellende Handhaltung“ erreicht ist, geht's los.
Andreas bekommt langsam schon eine erfrischend gesunde Hautfarbe, sein Gegner drückt was das Zeug hält. Und Andreas drückt dagegen - das kann dauern. Meist aber geht es schnell, manchmal dauert ein Kampf nur wenige Sekunden. „Es kommt in erster Linie aufs Köpfchen an, nicht auf die Muskeln“, meint eine Mitorganisatorin des Wettbewerbs. Der Kampf am Tisch sei nicht unbedingt eine Frage der Kraft. Mit roher Gewalt sei gar nichts zu erreichen. Willensstärke, Reaktionsfähigkeit, Taktik und Stehvermögen sind wichtiger.
Das Duell findet manchmal nur auf einem Bein statt: Nach der Regel ist es erlaubt, ein Bein um das Tischbein zu schlingen - des Halts wegen. Nur das andere muß ständig den Boden berühren.
Als der Arm von Andreas auf dem Handrücken landet, hat er verloren. Zwar wird nicht im K.o.-System gedrückt, bei der zweiten Niederlage scheidet man jedoch aus. Es war seine zweite. Fair hat er dennoch gedrückt: das Reglement kennt viele Fouls. Vom Loslassen des Haltegriffs, Verrücken der Ellenbogenposition bis hin zur Kopfnuß. Wer alkoholisiert oder sonstwie gedopt drückt, wird disqualifiziert.
Vielleicht trainiert sich Andreas bis 1996 an die Spitze: dann nämlich, so der Vorsitzende des niederländischen Armdrückerverbandes zuversichtlich, „werden wir an Olympia teilnehmen.“
Michael Blum
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen