: Armutszeugnis
■ Galinski darf nicht im Bundestag sprechen
Widerlich“ nennt der linke SPD-Abgeordnete und Ältestenratsmitglied Conradi das Verhalten der Grünen. Sie hätten aus der Einladung von Heinz Galinski als Redner auf der Gedenkstunde des Bundestages zum 9.November 1938 Kapital schlagen wollen. Als Beweis für die Profilierungssucht der Grünen wird vor allem die Tatsache angesehen, daß sie das Redeverbot Galinskis im Bundestag öffentlich gemacht haben.
Widerlich sind in Wahrheit die Rechtfertigungen des parlamentarischen Milieuwiderstandes gegen die Einladung des Vorsitzenden des Zentralrats der Juden: Die Gedenkstunde sei anders geplant; der Ältestenrat hätte anders beschlossen; Galinski würde schließlich auch andernorts reden. Kurzum, alles Gründe, die dann peinlich werden, wenn sie an die Öffentlichkeit gelangen.
Selbst wenn die Grünen sich nur hätten profilieren wollen, dann haben sie sich an der richtigen Sache profiliert. Galinski hat das unabdingbare Recht, die wichtigste Rednertribüne in der Bundesrepublik zu beanspruchen an diesem Jahrestag der Judenverfolgung – ein Recht, das allemal die Beschlußlage des Ältestenrates bricht. Wenn Galinski bereit ist, zu diesem Gedenktag vor dem Parlament zu reden, dann gebietet es die Achtung vor dem Schicksal der Juden, daß diese Absicht begrüßt wird. Auch aus politischen Gründen: Es gehörte bislang nicht zur Tradition der Jüdischen Gemeinde, derart direkt in die offizielle Deutungsarbeit der deutschen Vergangenheit zu intervenieren. Um so mehr sollte ein Bundestagspräsident die geringe Größe haben, das Konzept für die Gedenkstunde umzustoßen.
Die Erinnerung an den 9.November 1938 birgt auch die Frage nach dem Leben der Juden in dem Deutschland von heute in sich. Sollte der Bundestag sich nicht dazu verstehen, Galinski als Redner einzuladen, dann hätte er auf seine Weise diese Frage beantwortet.
Klaus Hartung
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