Die Geste als Horizont

■ Schumacher/Hartung: Neue Bilder alter Maler

Ulf Erdmann Ziegler

Seine Augen leuchten. Er stellt sich näher vor mich, als mir lieb sein kann. Seine Nase schimmert rötlich wie nach einem Brandunglück notgeflickt. Er ist vielleicht 75 oder 85 Jahre alt. Er sagt: „Für mich sind das keine Kunstwerke.“ Seine Augen leuchten noch mehr.

Es gibt sie noch, die alten Herren, die besserwisserisch das, was sie mit zwölf Jahren einmal gelernt haben, immer wieder als triumphale Weisheit verkünden (müssen): daß die Kunst dem, was die Herren für Welt halten, ähnlich zu sein habe. „Auf einem Bild muß man etwas erkennen können!“ fordert Nase. Und läßt die Sonderausstellung der Westberliner Nationalgalerie Emil Schumacher - späte Bilder schlürfend hinter sich. Unten, in der ständigen Sammlung, gibt es noch Bilder mit blauen Himmeln, weiten Horizonten, Herrenreitern.

Eben nur von dieser Vorstellung, dem Horizont, muß man sich lösen, um in Emil Schumachers Bildern etwas zu erkennen. Man sieht stumpfe Flächen müd leuchtenden Pigments, weit ausholende, kreisende bis zackige Bahnen von Asphalt, massiv aufgetragene und gespachtelte Farbe, Geschabtes, Verlaufenes. Viele der Bilder baden sich in Braun- und Schwarztönen. Sie erinnern an verbrannte Erde, verkommenes Gelände, aufgegebene Zivilisation. Wenn andere Farben dazukommen: Blau, Gelb, Rot, dann sind sie schwer brütend, düstere Lust. Das Blau erinnert an das Blau von Yves Klein.

Emil Schumacher, geboren 1912, gehört zu den meistgezeigten Malern des „deutschen Informel“. Großes Verdienstkreuz mit Stern des Verdienstordens der Bundesrepublik Deuschland 1983. Stilbildend war seine Malerei in den frühen sechziger Jahren. Die Kinder des Wirtschaftswunders, sofern bürgerlich aufgewachsen, kennen es aus dem Wohnzimmer: das grindige, gefurchte, düster-dekorative Bild, das irgendein mit den Eltern ehemals befreundeter Kunsterzieher wohlmeinend hinterlassen hatte. Für eine ganze Generation von Grummelheinis, deren Nerven im Krieg etwas abgefackelt worden waren und die in der gestischen Malerei so etwas wie einen Kompromiß zwischen Fortschrittsglauben und Gewohnheitsmelancholie fanden, war Schumacher Vorbild. 1939 bis 1945 „dienstverpflichtet“, wie es im Katalog heißt, „in einem Rüstungsbetrieb, den Hagener Akkumulatoren-Werken“, fand der studierte Werbegraphiker selbst erst 1951 zur ungegenständlichen Malerei.

Man würde es sich wohl zu leicht machen, wenn man das Informel komplett abtun würde als Weltflucht. Aber die umgekehrte apologetische Argumentation, die ungegenständlichen Maler seien in den fünfziger Jahren angefeindet worden, sie hätten sich der Glätte, der faltenreichen Ästhetik des Wirtschaftswunders quasi sinnlich versperrt, kann sie nicht vor dem Vorwurf bewahren, daß ihre Bilder den Vorstandsetagen der Banken wenig später als unproblematischer Wandschmuck erschienen sind. Die Abwendung vom Illusionistischen, die Hinwendung auf den Malprozeß selbst aber war ein internationales Phänomen: Asger Jorn (Dänemark); Pollock, Rothko, Newman (USA), Wols, Hartung, Soulages (Frankreich). Das sind nur Beispiele.

Mit dem Verschwinden des (abgebildeten) Gegenstands tauchte die Frage nach dem Zweck der auftragsfreien Kunst wieder auf. Mimesis, Legitimation von Kunst seit mehr als zwei Jahrtausenden, hatte - so schien es - ausgedient. Das Bild hatte die Theorie verschluckt und litt nun irgendwie an Atemnot.

Deshalb ist eine der spannendsten Fragen die, wie es weiterging. Die Pop-art verballhornte mit obskuren Montagen das Bild als geschlossenes Objekt. Viele jüngere Maler kehrten schlicht zur Gegenständlichkeit zurück. Nur: Was taten jene, die das Bild in die Einsamkeit der „Autoreferenz“, des Selbstbezugs getrieben hatten? Es starben: Wols (noch) unbekannt, 38jährig, 1951; Pollock durch einen Autounfall, 1956; Rothko von eigener Hand, 1970; Barnett Newman, 1970; Asger Jorn, 59jährig, 1973.

Die anderen, Schumacher und Hartung (von dem noch die Rede sein wird), machten weiter. Schumacher malt auf Karton, Holz, Papier, Leinwand. Der Wechsel des Bildträgers führt jedoch zu keiner Neuerung oder überraschender Konsequenz. Sogar die Papierarbeiten werden auf Leinwand geklebt und in schwarze Holzrahmen gepfercht. So geht in der Sorge um ihren Erhalt das Schönste, ihre (physische) Zerbrechlichkeit, verloren. Malerisch bleibt die narzißtisch-melancholische Lust am Morbiden, am Material (das man sich leisten kann), an der Geste.

Diese Malerei ist im negativen Sinn zwanglos. Daß einer so ein Bild, dessen Organisation weitgehend offen ist, zu malen beginnt, ist nachvollziehbar: die Fläche, vor der der Maler steht, ist sein Horizont geworden. Er will nicht mehr anders können als können. Rätselhafter ist die Frage, warum er jemals aufhört, ein Bild stehenläßt. Warum hier nicht noch ein blaues Spritzerchen, dort ein wenig schaben?

Mit dem potentiellen Mehr oder Weniger fällt der ganze Rahmen. Solange noch Leute leben wie der Herr mit der verglühten Nase, mag dieses OEuvre der verbrannten Erde noch eine Provokation sein. Ansonsten gibt es keinen Grund, es zu zeigen.

Um so verblüffender eine Begegnung mit dem Werk von Hans Hartung, Jahrgang 1904, aus den letzten drei Jahren. In der Pariser Chapelle de la Sorbonne hingen seine neuen Bilder an einem leichten Holzgerüstbau, der das Kirchenschiff locker umschloß. Hinter den Bildern türmte sich zum Teil abstruser religiöser Pomp aus undefinierbaren Epochen.

Die Bilder zeigen krasse, einfache Farben ohne Abstufungen auf weißer Leinwand, die nie vollständig gedeckt ist. Es werden immer zwei Bewegungen gegeneinandergearbeitet: Fallen gegen Steigen. Das Fallende zum Beispiel („T 1987 H5“) in flachen Spuren von Pißgelb, die das große Querformat vom oberen Bildrand her einregnen. Dagegen, steigend, eine Fontäne schweren Violetts. Es ist nicht auszumachen, wie Hartung es geschafft hat, eine so dichte Anordnung von Spritzern in eine so massive und gerichtete aufsteigende Formation zu bringen. Man sieht die Kraft der Bewegung und erkennt doch keinen Ansatz, keine Phasen. Der Expressionismus eines Computers.

Die blasse fallende und die dunkle steigende Bewegung fangen sich in einem komplizierten Mittelfeld, das die Bewegungen zum Stillstand bringt, aber gleichzeitig ins Flimmern. So entfaltet die Bewegung zweier Ordnungen in einem Konfliktfeld eine dritte, die eines Zufalls, dessen Kontrolle über vier Steuerungen (von oben/von unten; blaß/kräftig) angestrebt wird. Das sterile Weiß der Leinwand garantiert, daß das Experiment sichtbar bleibt.

Übrigens finde ich diese Bilder auf kalte Weise ähnlich (wie die Roy Lichtensteins oder die frühen Sachen von Stella). Aber das spielt keine Rolle. Hartung arbeitet an einem malerischen Problem, und er läßt jeden, der aufmerksam hinsieht, daran teilhaben. Schuhmacher schürt dagegen ein Geheimnis, eine Alchemie ohne Gewinn.

Hans Hartung, der 1935 (31jährig) nach Frankreich ging, gilt als französischer Maler. Er steht dem leichten, kalligraphischen Stil der neuen Pariser Schule näher als dem grummeligen, betulichen deutschen Informel. Seine Zeichnungen aus den Nachkriegsjahren, die man (gerade noch) in Köln sehen kann, zeigen einige Stationen seiner Arbeit an damals noch vielfältigen Formen. Kreise, Stäbe, Winkel und schraffierte Blöcke und Gitter werden eng zueinandergesetzt, quasi ineinander verhakt. Sie tragen sich (als gemeinsames Ensemble gegen den Bildrand), ohne sich zu ersticken. Aber sie fügen sich auch nicht zu einer Figur. Das allerdings passiert Schumacher in seinen Gemälden: Plötzlich sieht man in einer Asphaltspur eine Kreuzigung, einen Phallus, einen Kopf. Ich glaube, das kommt daher, daß der Maler in seinen Formen nicht streng genug verfährt. Sie laufen zurück ins Bekannte. Dann heißen die Bilder nicht mehr Talmon oder Urumun, sondern Dunkle Wolke oder Galgen.

Emil Schumacher, Späte Bilder, Nationalgalerie Berlin, bis zum 30.12.1988; Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen 12.5. -25.6.1989 (Katalog)

Hans Hartung in der Chapelle de la Sorbonne (Fetes d'Automne), 1988, Katalog 49 Franc

Hans Hartung, Arbeiten auf Papier 1947-1960. Galerie Zwirner, Albertusstraße 18, Köln, bis zum 4.November. Katalog 15 Mark