: Kein Dach über dem Kopf
Frauen und Wohnungsnot: Vor allem alleinstehende Mütter sind betroffen / Sozial- und Wohnungsämter bieten kaum Hilfe / Frauenhäuser werden für viele zur „Dauerlösung“ / Nur vereinzelt spezielle Wohnprojekte für Frauen ■ Von Eva Schweitzer
„Nachher kommt Ihr Mann vorbei und tritt mir die Tür ein“, erklärte ein Vermieter unerbittlich gegenüber Anne R. Vor fünf Monaten flüchtete sie ins Berliner Frauenhaus und ist seit Wochen auf Wohnungssuche. „Die Polizei meinte, solange mein Mann nichts anstellt, können sie nichts machen“, erzählt sie. „Und dann sagte er, wenn nochmal die Bullen kommen, bringe ich dich um.“ Jetzt wohnt Anne R. mit drei anderen Frauen in einem kleinen Zimmer des Frauenhauses. Ihr Kind schläft in ihrem Bett. Eine Wohnung findet sie nicht, obwohl sie alles mögliche unternommen hat: Vermieter angeschrieben, nachts mit der Zeitung in der Telefonzelle gestanden, Zettel an die Bäume geklebt. „Als alleinstehende Frau mit Kind bist du doch für viele eine Schlampe“, sagt sie.
Als im Sommer eines der Berliner Frauenhäuser abbrannte, wurde überdeutlich sichtbar, wie aussichtslos es vor allem für Mütter mit wenig Geld ist, eine vernünftige Wohnung zu finden: Nur vier Frauen wurden von den Berliner Behörden, von denen sich so keine richtig zuständig fühlte, untergebracht; die anderen Frauen müssen sichmit Matratzenlagern in Kellern und Kinderzimmern des anderen Frauenhauses vergnügen.
Weibliche Armut führt zu Obdachlosigkeit; oft wird sie dadurch verdeckt, daß Frauen sich im Notfall „Freunde“ suchen, zu denen sie ziehen, um den Schein zu wahren. Die Sozialämter, auf die inzwischen zwölf Prozent der alleinstehende Mütter angewiesen sind, helfen nur begrenzt: Sie übernehmen keine Kaution oder Abstände, müssen sich an Obergrenzen bei der Mietübernahme halten und stellen nötige Bescheinungen oft zu spät aus. „Als Mutter bist du in einem Teufelskreis“, sagt Anne R. „Solange du auf Wohnungssuche bist, kannst du nicht arbeiten, ohne Arbeit kriegst du keinen KiTa-Platz für die Kinder, und solange du die Kinder hast, kannst du dich nicht richtig um Arbeit und Wohnung kümmern.“
14.000 Frauen in der BRD sind obdachlos, nach Schätzungen der Caritas ist die Tendenz steigend. Die Zahl der alleinstehenden Mütter stieg bis 1985 auf fast 13 Prozent aller Familien, über die Hälfte davon hatte ein Nettoeinkommen von unter 1.400 Mark, 30 Prozent dieser Mütter sind arbeitslos - soweit eine Studie der Bundesfamilienministerin Süssmuth. Nicht nur ledige, sondern auch geschiedene Mütter sind betroffen.
Hilfe läßt auf sich warten. Der preiswerte soziale Mietwohnungsbau ist stark zurückgegangen. Einen besonderen Anspruch alleinerziehender Mütter auf eine Sozialwohnung gibt es ohnehin nicht. Frauen-und-Kinder-Wohngemeinschaften müssen hinter Familien zurückstehen. Anträge der Grünen, dies zu ändern, fanden bisher keine Mehrheit. „Solche Regelungen liegen in der Kompetenz der Bundesländer“, sagt der Sprecher des Bundesbauministers, Scholl. Die CDU-Politik zielt ohnehin in eine andere Richtung: Privatisierung, weniger Mieterschutz für sozial Schwache, steuerliche Benachteiligung des Sozialwohnungsbaus zugunsten des frei finanzierten. Die Gemeinnützigkeit im Wohnungsbau wurde abgeschafft, städtischer Wohnungsbesitz, für den die Kommunen Belegungsrechte haben, wird vor allem in den CDU -regierten Ländern abgestoßen.
In München stehen die Mangelverwalter mit dem Rücken zur Wand, angesichts „Normalmieten“ von über zwanzig Mark pro Quadratmeter und Sozialmieten von über acht Mark kalt. Wegen jahrelangen Wartelisten für die Vergabe einer Sozialwohnung entwickelte die Stadt ein differenziertes Punktesystem von Bedürftigkeit. Frauen aus dem Frauenhaus ziehen gleich mit Obdachlosen und Schwangeren in Wohnungsnot.
In Einzelfällen mietet die Stadtverwaltung selbst Wohnungen auf dem freien Markt. „Wir haben im Stadtrat durchgesetzt, daß alleinstehende Mütter in eine Sozialwohnung zusammenziehen können, wo sie sich gegenseitig unterstützen könnten“, sagt Sabine Csammpei von den Münchner Grünen, „aber praktisch hat das keine Bedeutung, denn Familien dürfen dadurch nicht benachteiligt werden. Und es gibt genug kinderreiche Familien in Obdachlosenpensionen, die gehen dann eben vor.“ Die Münchner Frauenhäuser wandelten sich von der Notaufnahme zur Dauerlösung. „Manche Frauen bleiben über Jahre hier“, sorgt sich die dortige Leiterin Frau Motz. „Noch schlimmer ist es für Frauen auf dem Land, die haben ja gar nichts, wo sie hinflüchten könnten.“
Hilfe für den Einzelfall bieten in Berlin zum Beispiel die Frauenzufluchtswohnungen des Vereins Frauenzimmer e.V. „Wir nehmen nur Frauen, die nicht bedroht werden, die anderen schicken wir ins Frauenhaus“, erläutert Angelika, die Sozialarbeiterin, das Konzept des Vereins. Zwei Wohnungen mit je vier Zimmern hat der Verein vom Bezirksamt Kreuzberg nach langen Verhandlungen angemietet, der Selbsthilfetopf des Sozialsenators zahlt die Grundausstatung und zwei halbe Stellen. „Es kommen immer mehr Frauen in den letzten Monaten“, sagt Angelika. Junge Ausländerinnen, die nicht mit ihren Eltern in die Türkei zurückwollen, Frauen am Rande der Obdachlosigkeit. „Manche haben einen Karton voll ungeöffneter Briefe zuhause, meist Mahnungen, aber auch das obligatorische Hilfsangebot vom Sozialamt.“
Auch Frauen aus der Szene benötigen oft genug den Schutz der Frauenzufluchtswohnung. „Im Moment lebt eine Frau bei uns, deren Freund hier Flugblätter gegen sie in den Kneipen klebt.“ Aus der Übergangslösung droht bei der zunhmenden Wohnungsknappheit eine Dauerlösung zu werden. Einige Frauen leben schon über ein Jahr mit den Kindern in einem Zimmer.
In einigen Städten gibt es spezielle Wohnungsmodelle für Frauen. Vom Bund wurde beispielsweise eine Siedlung in Köln finanziert, die auch Serviceeinrichtungen wie mobiles Essen und Kindergärten hat. In Berlin erstellte die Gemeinnützige GSW im Randbezirk Lichterfelde eine Reihenhaussiedlung, zu der auch Wohnungen gehören, in die nur Frauen mit Kindern einziehen dürfen. Diese und andere Projekte sind Tropfen auf den heißen Stein, abgesehen davon, daß alle diese Wohnungen belegt sind.
„Die Wohnungsbaugesellschaften habe ich alle angeschrieben. Die haben Wartelisten von über fünf Jahren“, seufzt Anne R. 20.000 Bewerber für die 52.000 Wohnungen der Berliner GSW sprechen eine deutliche Sprache. Die Frauenbeauftragte der Berliner SPD, Korthaase, fordert ein Kontingent von Wohnungen für alleinstehende Mütter, verbesserte Unterstützung durch das Sozialamt und die Möglichkeit, Wohnberechtigungsscheine für Sozialwohnungen zusammenzulegen. Bis jetzt ohne Erfolg. „Es sind einfach zu viele Gruppen, die schwer eine Wohnung finden, man kann nicht für die alle Kontingente fordern“, meint man in der Berliner Bauverwaltung. „Kontingente schaffen keine Wohnung mehr.“ In der Bauverwaltung arbeitet man seit Monaten an einem Kooperationsvertrag mit den Wohnungsbaugesellschaften, um „Problemgruppen“ unterzubringen, allerdings ohne konkrete Belegungsrechte für Einzelfälle.
Am besten wäre es, da ist sich die Berliner Alternativen Liste einig, wenn im Streitfall der mißhandelnde Mann die Wohnung verlassen muß. Ein entsprechender Gesetzesantrag der Grünen schmort noch im Bundestag. In England, so Helga Hentschel von der AL-Fraktion, ist dies seit 10 Jahren Praxis.
In Deutschland kann bis jetzt nur eine verheiratete Frau, die mit im Mietvertrag steht, ihren Mann per einstweilige Verfügung aus der Wohnung bekommen. Diese Regelung wäre auch für Frauen eine Hilfe, die sich nicht mehr in die alte Wohnung trauen. Denn die hätten dann wenigstens etwas zum Tauschen und eine „ordentliche Adresse“ für die Wohnungssuche. „Schließlich“, sagt Anne R., „ist es nicht einzusehen, daß der Mann alleine in der Drei-Zimmer-Wohnung wohnt, und ich mit dem Kind im Gemeinschaftskämmerchen des Frauenhauses.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen