Reagenzglasbefruchtung: Der Königsweg der Genforschung

„Es ist keine Erfolgstechnologie, es ist eine gescheiterte Technologie!“ Renate Klein schüttelt energisch ihren Kopf. Der Ärger über die in den Medien gefeierten Erfolgsmeldungen der Reproduktionsmedizin steht ihr deutlich ins Gesicht geschrieben. „Seit vor zehn Jahren das erste Retortenbaby in England zur Welt kam, sind die Erfolgsquoten bei der Befruchtung im Reagenzglas nicht gestiegen. Sie liegen immer noch bei 5 bis 10 Prozent. Das heißt, 90 von 100 Frauen, die sich den langwierigen, schmerzhaften und gesundheitsschädigenden Prozeduren der neuen Behandlungsmethoden unterziehen, gehen am Ende ohne Kind nach Hause.“ Renate Klein, Schweizer Biologin und Soziologin, forscht zur Zeit in Victoria, Australien, über die Auswirkungen der extrakorporalen Befruchtung (IvF) auf die betroffenen Frauen. Wenn es analog zu den „Vätern“ der Retortenbabies „Mütter“ des Frauenwiderstandes gegen diese Techniken gäbe, dann gehörte Renate Klein dazu. Sie ist eine der Mitgründerinnen von Finnrage, dem internationalen feministischen Netzwerk, und arbeitet seit Jahren zu diesen Gen- und Reproduktionstechnologien. Sie berichtete Neues aus der Retortenwelt: dazu gehört die Technik der „Microinjektion“, die soeben von der Ethik-Kommission des australischen Bundesstaates Victoria genehmigt wurde. Statt wie bisher bei der extrakorporalen Befruchtung Ei und Spermien in der Petri-Schale sich selbst zu überlassen, wird bei dieser Methode ein einzelnes Spermium isoliert und vom Mediziner in das Ei injiziert. Microinjektion wird bei Unfruchtbarkeit des Mannes angewendet - wenn die „Qualität“ der Spermien zu wünschen übrig läßt. Mit dieser Methode wird nicht nur ein weiterer Schritt zum „Menschenmachen“ vollzogen, sondern auch die psychosomatische Seite von Unfruchtbarkeit weiter ausgeblendet. Denn bei etwa einem Drittel der Frauen, die sich in Behandlung begeben, lassen sich keine körperlichen Ursachen, wie fehlende oder verklebte Eileiter, feststellen. Frauen entwickeln zum Beispiel eine „unerklärliche“ Allergie gegen die Spermien ihres Mannes. Anstatt hier mögliche Probleme in der Partnerschaft wenigstens anzusprechen, werden die seelischen und sozialen Ursachen der Unfruchtbarkeit mit aller technischen Raffinesse ausgeschaltet und ein Kind um jeden Preis produziert.

Ohnehin geht es denn Reproduktionsmedizinern (bis auf wenige Ausnahmen sind es nach wie vor Männer, die sich hier ihre Lorbeeren und ihre Geld verdienen) nicht um die Frauen. Deshalb führen die geringen Erfolgsquoten auch zu keiner Verunsicherung. Es geht um den Embryo als Forschungsmaterial, und Frauen sind „Eierspenderinnen“, die das Rohmaterial liefern und die tendenziell ganz aus dem Vorgang des „Menschenmachens“ ausgeschaltet werden sollen. So wird in den USA, in England und Australien daran gearbeitet, weibliche Eizellen außerhalb des Körpers zur Reifung zu bringen. Für das Streben der Mediziner nach dem Menschen aus der Retorte gibt es noch weitere Indizien: In Bologna gelang es in diesem Sommer einem Ärzteteam, eine aus einer Frau entfernte Gebärmutter künstlich mit Sauerstoffzufuhr und Hormongabe am „Leben“ zu erhalten. Der implantierte Embryo entwickelte sich nach dem Bericht der italienischen Ärzte in der Zeitschrift 'Fertility and Sterility‘ „ganz normal“ - bis nach 52 Stunden, die Gebärmutter „zusammenbrach“.

Die Reagenzglasbefruchtung ist der Königsweg zur Forschung an menschlichen Genen: daß die KritikerInnen der neuen Reproduktionsmedizin mit dieser Einschätzung richtig liegen, zeigen eindringlich die Forschungen an der „Präimplantations -Diagnose“, die in Großbritannien am weitesten fortgeschritten sind, aber auch von der Deutschen Forschungsgemeinschaft befürwortet werden. Dem befruchteten Ei wird im 4- oder 8-Zellstadium eine Zelle entnommen, die anhand sogenannter „Markergene“, die inzwischen künstlich hergestellt werden, auf genetische Defekte überprüft werden können. Noch ist diese Diagnosemethode in den allerersten Anfängen, doch in den Labors der Pharmaindustrie und Forschungsinstitute wird mit aller Energie daran gearbeitet, immer größere Teile des menschlichen Genoms zu entschlüsseln.

Warum aber nehmen Frauen - weltweit, so die Schätzungen, sind es 400- bis 500.00O - trotz der unübersehen gesellschaftlichen Brisanz dieser Forschung immer wieder an IvF-Programmen teil? Und warum lassen sie oft jahrelang die schmerzhaften Untersuchungen und Versuche über sich ergehen? Die einfachste Antwort ist, so Renate Klein, Frauen seien zu wenig informiert. Zum Beispiel würden Frauen nichts über die gesundheitlichen Auswirkungen der Hormonbehandlung erfahren, die bei IvF aber auch den „konventionellen“ Unfruchtbarkeitsbehandlungen angewendet wird. Mittel wie das synthetische Hormon „Chlomiphen“ rufen Erbrechen, Schwindel, Sehstörungen hervor und können zu Verwachsungen, Zysten und Aufblähung der Eierstöcke führen. Das erschreckende aber ist, daß diese Nebenwirkungen, bis hin zu Fällen von Krebserkrankung, zwar reihenweise in der wissenschaftlichen Literatur belegt sind, aber von den Reproduktionsmedizinern schlicht ignoriert werden. Die „Technodocs“ würden Chlomiphen nach wie vor wie eine Süßigkeit verabreichen.

Die Frage, warum sich Frauen als „lebendiges Versuchsmaterial“ zur Verfügung stellen, Opfer und Mittäterinnen in einem sind, beschäftigte auf dem Frankfurter Kongreß nicht nur eine Arbeitsgruppe. Klarer als auf dem ersten Kongreß in Bonnn 1985 wurde erkannt, daß Feministinnen die unfruchtbaren Frauen erreichen müssen, wenn die weitere Forschung und Anwendung der Reproduktions und Gentechnologie überhaupt gestoppt werden soll. Und daß es wenig Sinn macht, sie als „weiße Mittelstandsfrauen“ abzuqualifizieren, die von einem merkwürdigen „Kinderwunsch“ geplagt werden. Zu der Motivation der Frauen lieferte auch eine österreichische Referentin wichtige Erklärungsansätze. Auf Grund des sozialen Drucks, der von Ehemännern, Eltern und Bekannten auf Frauen ausgeübt wird, der gesellschaftlichen Zuweisung, daß Frauen nur als Mütter vollständige Wesen seien, werden die Frauen in psychische Problemlagen gebracht. Das Verhalten der Frauen lasse sich in einem Zusammenhang von „Schuld und Sühne“ interpretieren: Da Frauen sich schuldig fühlen, wenn sie keine Kinder gebären können, empfinden sie die Schmerzen und Strapazen, die eine IvF-Behandlung mit sich bringt, als eine Art Sühne. Sühne auch dafür, jahrelang verhütet und so Sexualität „ohne Strafe“ genossen zu haben. Doch für die Aufarbeitung dieser psychischen Problematiken ist in den Kliniken der Reproduktionsmedizin kein Raum. Um so wichtiger sei deshalb die Selbsthilfe von Frauen: Renate Klein versucht zur Zeit, Frauen zu organisieren, die durch IvF-Programme gegangen sind und ihre Erfahrungen weitergeben können. In der Bundesrepublik bieten die Feministischen Gesundheitszentren in Berlin und Frankfurt inzwischen Sterilitätsberatung an. In Berlin kamen in den vergangenen zwei Jahren allerdings nur 35 Frauen. Ob „Schwellenängste“ die Ursache sind oder der Umstand, daß Unfruchtbarkeit als Thema stark tabuisiert ist: Einigkeit herrschte darüber, daß psychosoziale Beratungen in die richtige Richtung weisen. „Und wir sind erfolgreicher als die Reproduktionsmediziner“, erklärte die Berliner Referentin lächelnd. Fünf Frauen aus ihrem „Programm“ wurden wenige Monate nach der Beratung schwanger. Und das ist eine „Erfolgsquote“ von 11 Prozent.

Helga Lukoschat