: Detektivisch unterwegs sein
■ Marion Schulz arbeitet seit Jahren an einer umfangreichen Bibliographie deutscher Schriftstellerinnen, und wird für diese (Fleiß-) Arbeit als 21. Mitglied in unserem CULTURE-CLUB herzlich begrüßt
Bis die „Bibliographie deutscher Schriftstellerinnen 1945 -85“ BenutzerInnen zur Verfügung steht, wird es noch zwei Jahre dauern. Bislang birgt ein 2m hoher Stapel Computerausdrucke, der in einer Ecke des Arbeitsraumes der Stiftung Frauen-Literaturforschung steht, das bisherige Ergebnis ihrer bibliographischen Nachforschungen. Das Namens - und Werksverzeichnis zeitgenössischer deutscher Schriftstellerinnen wird die biografischen Daten von rund 10.000 Autorinnen und etwa 300-350.000 Titel umfassen. Die Idee zu diesem Sammelwerk wurde Anfang der 80er Jahre bei einer Veranstaltung der Frauenwoche geboren. Aus beruflichem Interesse und mit der Motivation, die
unterrepräsentierten „schreibenden Frauen“, wie sie damals noch hießen, bibliografisch zu verewigen, begann die Bremer Bibliothekarin Marion Schulz zunächst mehr oder weniger allein mit den Nachforschungen. Neben ihrem 20-Stundenjob an der Bremer Uni, leitet sie heute das Projekt, das mittlerweile auf 11 Mitarbeiterinnen angewachsen ist.
taz: Was reizt dich an der bibliografischen (Fleiß-) Arbeit?
Marion Schulz: Es macht mir einfach Spaß, detektivisch unterwegs zu sein. Im Bereich der Frauen-Literatur gibt es zwar Nachschlagewerke für vergangene Jahrhunderte, aber die zeitgenössische Literatur ist so gut wie gar nicht aufgearbeitet. Um
die vielen Autorinnen zu erfassen, müssen wir mit unserer Arbeit ganz von vorne anfangen. Und da wird es spannend: Wir korrespondieren mit Autorinnen, Schriftstellerverbänden und Verlagen, sehen Zeitschriften und Anthologien durch...
Wer wird in die Bibliographie aufgenommen?
Das ist die Gretchenfrage. Wir nehmen alle Frauen mit ihrem Werk auf, die zwischen 1945 und 1985 mindestens einen literarischen Text veröffentlicht haben, ob nun in der Fleischer-Kundenpost oder in einem bekannten Verlag. Um einen vollständigen Überblick zu geben, berücksichtigen wir auch Hörspiel-, Drehbuch- und Theaterautorinnen und
Übersetzerinnen. Dabei wollen wir keine aussortieren und setzen deshalb keine qualitativen Maßstäbe an. Weil so viele Frauen schreiben, nehmen wir nur bundesrepublikanische Frauen auf.
Werde ich mir die fertige Bibliographie kaufen können?
Viele Frauen schreiben: Und schickt mir die Broschüre, wenn sie fertig ist. Die „Broschüre“ wird wohl acht dicke Bände umfassen, möglicherweise aber als neues Medium CD-ROM erscheinen und hauptsächlich in Bibliotheken einsehbar sein. Wir verhandeln gerade mit zwei großen Verlagen und hoffen, daß sie die Herstellungskosten übernehmen. Ein Honorar wird es wohl nicht geben. Wir bezahlen unsere Sach
kosten z.T. aus Spenden, größtenteils werden sie aber aus meiner eigenen Tasche finanziert. Doch sind über den Verein, den wir vor zwei Jahren gegründet haben, immerhin sechs bezahlte Arbeitsplätze entstanden, die allerdings zeitlich befristet sind.
Wen stellt Ihr Euch als BenutzerInnen der Bibliographie vor?
Zunächst einmal Literaturgruppen- und Verbände. Aber auch alle, die sich einfach für die Literatur von Frauen interessieren. Mit dem Literaturdokumentationssystem ALDIS im Rechenzentrum der Uni haben wir eine benutzerInnenfreundliche Datenbank aufgebaut. Damit ist es möglich, die gespeicherten Daten nach verschiedenen Fragestellungen zu sortieren. Während der bibliografischen Arbeit ist bei uns ein ganzer Katalog mit literatursoziologischen Fragestellungen entstanden. Wir hoffen, z.B. Doktor- oder Diplomarbeiten anregen zu können. Die Bibliografie bildet den Eckpfeiler des Vereins Stiftung Frauen-Literatur-Forschung. Neben der Forschung planen wir Weiterbildungskurse anzubieten, in denen wir Frauen unser Wissen über Literatur, Sprache und neue Medien vermitteln.
Das Gespräch führte Renate Neumann
Kontakt: Frauen-Literatur-Forschung e.V., Tel. 78613
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