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Hartes Urteil fürs Parolensprühen

■ Berliner Landgericht verurteilte im Berufungsprozeß vier Leute wegen Sprühens von Parolen zu drei Monaten auf Bewährung / Das Urteil geht über die erstinstanzliche Strafe hinaus

Mit einem Urteil von drei Monaten auf Bewährung wegen Sprühens von VoBo-Parolen im März 1987 endete gestern für zwei Frauen und zwei Männer der Berufungsprozeß vor dem Landgericht. Damit ging das Gericht nicht nur weit über das Urteil in erster Instanz hinaus, sondern überbot auch noch den Antrag des politischen Staatsanwalts. Jener hatte für die Angeklagten 90 Tagessätze zu 20 bzw. 25 Mark gefordert.

Den vier Angeklagten war zur Last gelegt worden am Firmengebäude DeTeWe, am U-Bahnhof Schlesisches Tor und am Spreewaldschwimmbad in Kreuzberg mit einer Schablone die drei Zentimeter großen Buchstaben des Worts „Volkszählungsboykott“ sowie ein kleines, hammerschwingendes Männchen gesprüht zu haben. Obwohl sie keine Aussage gemacht hatten und von Zivilbeamten nur am Spreewaldbad beobachtet worden waren, wurden sie für alle drei Aktionen zur Verantwortung gezogen.

Das Gericht ging weder darauf ein, daß eine der Angeklagten am Bad laut Polizeiaussage abseits der Sprüher gestanden hatte, noch darauf, daß der Tatbestand der Sachbeschädigung höchst zweifelhaft war: So war die Wand des Schwimmbads nämlich nicht wegen der winzig kleinen VoBo-Parole neu getüncht worden, sondern wegen weitaus größeren Protestschriften anderer Herkunft. Ein Gutachter, der von insgesamt 2.532 Mark Renovierungskosten gesprochen hatte, hatte für die VoBo-Parole ganze 38.20 Mark veranschlagt. Ähnliches hatte sich in Bezug auf den U-Bahnhof herausgestellt und am DeTeWe-Gebäude war ein VoBo-Spruch sogar vom Pförtner wieder abgewischt worden.

Doch das Urteil des Amtsgerichts von 300 bzw. 350 Mark Geldbuße wegen öffentlicher Aufforderung zu einer Ordungswidrigkeit gehört seit gestern der Geschichte an. Und die drei Monate wegen „publikumswirksamer Beschädigung fremden Eigentums“ wurden nur deshalb zur Bewährung ausgesetzt, weil die Angeklagten nicht vorbestraft waren.

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