: DIE ALTEN HERREN DER NEUEN MUSIK
■ Wolfgang Rihm - im Zivilstand Revoluzzer
Berlin heißt ja jetzt Ort des Neuen. Und es gibt reihenweise alte Herren in der Neuen Musik, die mit Fug und Recht von sich sagen können: Ich bin ein Berliner. Die Festwochen veranstalten also eine Reihe „Komponistenportraits“ im neuen Kammermusiksaal - acht mal drei Konzerte jeweils am Wochenend.
Es ist gewiß kein leichtes Los: das „Jungerkomponistsein“ auf Lebenszeit. Wolfgang Rihm weiß ein Lied davon zu singen, und das tut er immer wieder gerne. Schon im zarten Alter von 22 Jahren hat der ungestüme „Jung-Siegfried“ der Neuen Musik sämtliche kritische Federn in Bewegung gesetzt: Zunächst befand man ihn für zu leicht, zu modisch, zu schlicht gestrickt wg.sog. „Neuer Einfachheit“. Dann, wie das spätromantische Wabern zurückwich in seinen Werken, die immer lauter, immer länger und vor allem immer schneller immer mehr wurden - da respektierte man Rihm als Schwergewicht. Als einen Ausbund an Produktivität, als genialischen Krafthans von tiefer, gar von „vulkanischer Natur“. Heute ist er 36 Jahre alt, und man spricht schon feierlich von seinem Spätstil.
Alles, was gut und teuer ist, vom Dritten Fernsehen über die FAZ bis zur Festivalitis, liegt ihm zu Füßen. Die Programmbroschüre ist auch diesmal wieder brechend voll mit den schönsten Bekenntnissen zur Weltgeltung des Wolfgang R.
-und er selbst nimmt die Gelegenheit wahr, sich wahlweise auf seine „Welterfahrung“ zu berufen, auf die Freiheit der Kunst und auf die Musen, die ihn offenbar zuverlässig alle Nase lang küssen. Mit großer Geste wandelt er fürbaß Bürgerschreck und Revoluzzer, total spontan und immer ein bißchen hoppla.
Wie gesagt, das ist das Image und Rihms Zivilstand. Im übrigen lehrt er Komposition in Karlsruhe, und feierabends macht er dann selbst noch Musik: Opern, Sinfonien, Kammermusik usw., je nach Auftragslage. Er braucht dafür zumeist viele Instrumente und nutzt dann doch deren Möglichkeiten nicht aus. Er hat dazu jede Menge hübscher Einfälle und nimmt sich nicht die Muße, ihnen nachzusetzen. Dürre Metrik, kaum Klang, keine Melodie, weder Farbe noch Ausdruck - aber doch eben von allem ein bißchen und immer stracks aus dem Bauch heraus. Zu viele Fragen, keine Antworten - zuviel Geräusch, kein Ton. Man möchte meinen, da sei einer am Werke, der der Musik wohl kundig ist und sie gerade deshalb nicht liebt.
Die neueste Errungenschaft oder vielmehr der Spätstil Rihms soll, wie das trendy heißt, das „sich verhauchende Fragment“ sein. In den Stücken artikuliert sich das vorzüglich durch hingeschmissene Trümmerteile und Pausen, verbal - das heißt in diversen Interviews und Selbstdarstellungen - als ein beliebiges Stemmen von bewährten Zitaten. Selbst die Pausen waren längst anderswo schon einmal besser zu hören.
Elisabeth Eleonore Bauer
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen