: Bei Firmenaufkäufen lockt das große Geld
Die Anekdote ist dem 'Wall Street Journal‘ zu verdanken, das die Verhandlungen um die Kontrolle über RJR Nabisco minutiös verfolgt. In den frühen Morgenstunden des 26. Oktober, nach langen gemeinsamen Beratungen zwischen den Managern der verschiedenen Interessengruppen, zündete sich Peter Cohen, Chef des Investment-Hauses Shearson Lehman Hutton und Makler des Nabisco-Managements, eine Zigarre an. George Roberts, Chef der Shearson-Konkurrenz KKR und Nichtraucher, war entsetzt: „Stellt Ihr etwa Zigarren her?“ Zwei Stunden später wurden die Verhandlungen aus anderen Gründen abgebrochen, und KKR bot im Alleingang 20,5 Milliarden Dollar. Aber die Anekdote zeigt, wie unwesentlich für einen Finanz-Manager die Produkte eines Konzerns sind, der aufgekauft werden soll.
Allein das Geld zählt, und davon hat KKR nicht zu knapp. Mit rund sechs Milliarden Dollar ist die „Kriegskasse“ von KKR gefüllt, um „Übernahmeschlachten“ zu finanzieren. Nur die Hälfte davon würde für den Erwerb von RJR Nabisco draufgehen, der Rest kommt vom Markt: Weitere fünf Milliarden Dollar sollen durch den Verkauf von junk bonds zusammenkommen, den hochspekulativen und deswegen hochverzinslichen Wertpapieren. Zwei Milliarden Dollar werden klassisch über die Börsen gestreut, und die restlichen zehn Milliarden kommen von einem Bankenkonsortium.
Gleich doppelt hat der Börsenkrach vom Oktober '87 dafür gesorgt, daß solche riesigen Summen für die Finanzierung von Unternehmenskäufen zur Verfügung stehen. Zum einen gelten die Kurse vieler US-Unternehmen, die im letzten Jahr tief abgesackt waren und nun die Basis für Übernahme-Angebote darstellen, als unterbewertet. Zum anderen aber sind auf dem heißen LBO-Markt Gewinnspannen möglich, die die lediglich flaue Börse nicht hergibt. Den Nahrungsmittel-Konzern Pillsbury etwa, einem weiteren Konzern im Übernahme-Rodeo, hat sich der britische Konkurrent Grand Metropolitan auch deswegen ausgesucht, weil er mit relativ billigen 5,2 Milliarden Dollar zu haben ist. Pillsbury war im letzten Jahr in einen heftigen Preiskrieg mit Procter & Gamble verwickelt, der auf die Gewinnspannen und damit auf den Börsenkurs drückte. So verdienen die vielfach miteinander verflochtenen Banken und Investmenthäuser gleich mehrfach.
Das beginnt schon mit der Veröffentlichung des Kauf -Angebots selbst. Um attraktiv zu sein, liegt es deutlich über den aktuellen Börsenkursen. Im Fall von Nabisco kostete eine Aktie vor dem Angebot rund 55 Dollar. Die Offerte des Nabisco-Managements für den Kauf des eigenen Unternehmens lautete auf 75 Dollar; das Papier schnellte um fast 22 Dollar empor und schloß noch am gleichen Tag mit 76,625 Dollar. Die Aktionäre erwarteten noch höhrere Angebote und sahen sich nicht getäuscht: weitere sieben Dollar gab das Gegengebot von KKR her.
Unmittelbar profitieren davon die Top-Manager des „angegriffenen“ Unternehmens, die oft selbst Anteile an ihren Firmen besitzen. Nabisco-Chef Ross Johnson etwa räumt ein, daß er beim Verkauf des Unternehmens mit seinen 60.000 Aktien runde drei Millionen Dollar Gewinn einstreichen wird. Ähnliches gilt für die Banken, Versicherungen und Pensionsfonds, die dann selbst wieder das Geld für die Aufkäufe zur Verfügung stellen. Dann dürfte KKR an der Abwicklung runde 400 Millionen Dollar verdienen. Und schließlich kommen noch die Zinszahlungen auf die enormen Schulden hinzu, die den angekauften Konzernen aufgehalst werden. Da wiederum haben die Steuerbehörden das Nachsehen: Schulden können in den USA steuerlich abgesetzt werden, während Dividendenzahlungen von den Empfängern zu versteuern sind. So ist die Finanzierung über Schulden attraktiver als die über die Börse. Am Schluß der Nabisco-Operation dürfte die Firma etwa 18 Milliarden Dollar abbezahlen müssen.
Finanzierung durch
Ausverkauf
Das macht die Unternehmen extrem anfällig für einen Konjunktur-Einbruch, für Inflationsschübe und für steigende Zinsen. Das ist auch der Grund, warum die Fusionswelle weitgehend durch den Nahrungs- und Genußmittelsektor schwappt. Denn die gilt als ungleich „rezessionsneutraler“ als die empfindlichen Investitionsgüter-, Auto- oder Ölbranchen. Essen und Trinken müssen die Leute immer. Fragt sich nur, was.
Während die Parlamentarier in Washington über die steigende Abhängigkeit von der Wirtschaftspolitik in Unruhe verfallen, setzt bei den Verkäufen an der Börse die Besorgnis der Finanzbranche ein. Die Mega-Transaktionen sind immer mehr mit einem Verkauf von Einzelteilen der Konzerne an der Börse verbunden. So wird nach dem Aufkauf von Pillsbury durch Grand Met wohl die chronisch defizitäre Burger-King-Kette offeriert, während Nabisco den Obst- und Konservenhersteller Del Monte auf den Markt wirft, um den Kauf des Mutterkonzerns zu finanzieren. Je größer die Deals sind, um so mehr landet zum Verkauf an der Börse. Ist nicht gerade Hausse angesagt, kann das die Kurse durchaus in die Knie zwingen.
Doch auch da bietet die Nahrungsbranche noch einen Vorteil. Der Abbau der Schuldenberge bei den LBO-Opfern wird häufig mit dem Zusammenstreichen der Ausgaben für Forschung und Entwicklung bezahlt - ein riskantes Unterfangen, weil sich nachlassende Konkurrenzfähigkeit mittelfristig heftig in roten Zahlen ausdrücken kann. Auch wenn in diesem Jahr Nabisco die erste rauchlose Zigarette auf den Markt gebracht hat - der Entwicklungsaufwand der Nahrungsmittel-Hersteller ist deutlich geringer als in anderen Branchen. Das zwingt zu kostensenkenden Maßnahmen vor allem im Management und in der Herstellung. Doch die Schließung von unprofitablen Fabriken und das Feuern schlechter Manager hat die Börse noch immer zu honorieren gewußt.
wu
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen