WAS GEHT HIER VOR?

■ Das „Videolabyrinth“ im Neuen Berliner Kunstverein

Es war irgendwann in den Sechzigern, als sich Menschen gewisser Prophezeiungen erinnerten: Daß Computer nicht nur Geld zählen oder die Bevölkerung überwachen können, sondern auch in der Lage sind, Schönheit zu schaffen: Bilder und Töne, Träume und Action.

Mit den ersten Ping-Pong-Spielen begann der Fernseher seine Konsumenten-Funktion zu verlieren, und die wenig später auftauchenden TV-Gewehre, mit denen man völlig ungefährlich auf den Bildschirm ballern konnte, schafften neue Betätigungen für Hobby-Pädagogen, die schon immer zu jedem Holzbauklotz eine Erbauungsschrift abliefern konnten: Was sie selbst nicht hatten oder verstanden, vor dem waren fortan auch die armen Kleinen zu bewahren. Ihr rigider Abwehrkampf, der den Verzicht aufs Bild und die Konzentration auf die Sprache forderte („Bildung“ statt Kino, Comics, Fernsehen), richtet sich heute gegen Spielhallen oder Horrorvideos, und das Gesülze dieser Feierabend-Hippies freut natürlich Vater Staat, der nun endlich auch von links um Zensur gebeten wird.

Drei Studentinnen der Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB), die ein etwas weiteres Verständnis von „neuen Medien“ haben, trafen auf ähnliche Verständnisschwierigkeiten, als sie sich mit „interaktiven Spielfilmen“ zu beschäftigen begannen: Viertelgebildete Zeitgenossen hoben die Zeigefinger und riefen „SDI“ oder warnten, daß das Privatfernsehen ihre Werke zur weiteren Zuschauerverdummung nutzen könnte. Und Namen wie Terra Z oder Mutabor III klingen ja nun wirklich furchteinflößend!

Diese „interaktiven Spielfilme“ sind nichts weiter als erweiterte Computerspiele, wo statt bewegter Grafiken kurze Realfilme eingefügt sind. In Terra Z von Ilka Lauchstädt steigt eine Forscherin in den städtischen Untergrund hinab, um bisher unbekanntes Gebiet zu durchqueren. Es gilt, mythische Codeworte zu finden, sich zwischen Zeit, Feuer oder Mensch zu entscheiden und ein magisches Zahlenquadrat zu enträtseln.

Mutabor III von Rike Anders läßt uns an einer soap -opera um einen Schönheitschirurgen und dessen Patientin teilnehmen. Am Ende hat der Spielteilnehmer darüber entschieden, ob die Patientin weiterhin so häßlich bleiben muß oder ob ihr ein neues Gesicht verpaßt werden konnte.

Am weitaus lustigsten ist OberschenkelhalsundBeinbruch von Mari Cantu, wo ein harmonisches Kaffeekränzchen am Sonntagnachmittag in eine kleine Katastrophe ausarten kann, wenn der Spieler seinen Figuren zuviel Cognac verabreicht oder er ihre psychischen Macken nicht ernst genug nimmt. OberschenkelhalsundBeinbruch ist das ausgetüftelste der drei Versionen mit den meisten Überraschungen und läßt auch bei wiederholter Nutzung keine vorschnelle Langeweile aufkommen. Trotzdem kranken diese Spiele nicht nur an der noch zu langsamen Technik (die Realfilmsequenzen sind auf einem Video-8-Recorder gespeichert und trotz automatischen Suchlaufs entstehen längere Pausen), sondern auch an dem Computerspielen immanenten - Mangel an Variationen: Irgendwann weiß man, wie der Hase läuft.

Die drei Filmstudentinnen (OberschenkelhalsundBeinbruch war Mari Cantus Abschlußarbeit an der DFFB) wissen um die Schwächen ihres Videolabyrinths und wollen mit dieser Ausstellung weniger die Galerie zu einer Spielhalle machen als eine andere Art des Erzählens präsentieren, das eine vorbestimmte Geschichte durch verschiedene Abschweifungen interessant und variabel macht; eine Geschichte, die an Knotenpunkten wieder zusammenfindet, oder wo die weitere Erkundung von Umwegen nötig wird, wenn man noch nicht genügend Informationen besitzt, um ans Ziel zu gelangen. Und nicht immer ist der kürzeste / logische Weg auch der interessanteste ...

Eigentlich also nur eine etwas modifizierte Version von Dallas oder Denver, wo ja auch andauernd Nebenschauplätze eröffnet werden, um den Zuschauer bei der Stange zu halten. (Wo bleibt denn nun der „Sinn“ dieser Ausstellung? mag da mancher fragen, wobei sich dann nur der Sex ins Spiel bringen ließe, der ja auch - wenn es nicht gerade um Nachwuchs geht - überhaupt keinen Sinn, nur verdammt viel Spaß macht.)

Das Videolabyrinth aber ist nicht nur eine andere Form von Spiel und Zeitvertreib, sondern macht auch Sinn: Daß Computerspiele nämlich eine neue Art des Erzählens verbreiten, daß sie die Art des Sprechens verändern und daß sie auch die Bedeutungen von alltäglichen Handlungen offenbaren können - wenn sie, wie hier, den Spieler in den Mittelpunkt stellen und sich nicht in der Faszination von bunten Grafiken erschöpfen. Sicher wird das Videolabyrinth nicht den deutschen Film erretten (wie das sonst so gerne von DFFB-Absolventen proklamiert wird, siehe Nihil); es ist nur ein weiterer Weg ins weite Feld der Computerspiele und eine neue Art, Geschichten auf moderne und verspielte Art zu erzählen.

Torsten Alisch

Bis 5.11., jeweils 16 - 20 Uhr, im Video-Forum des „Neuen Berliner Kunstvereins“, Schlüterstr.42, 1-15.