: Die deutsche Eiche wankt
■ Mit dem Siechtum von Quercus robur stirbt mehr als nur ein Baum / Von den alten Griechen bis Strauß
Frei und unerschütterlich
wachsen unsre Eichen
Mit dem Schmuck der grünen Blätter
Stehn sie stets in Sturm und Wetter
wanken nicht, noch weichen
Wie die Eichen himmelan
trotz der Stürme streben
wollen wir auch ihnen gleichen
fest und frei wie deutsche Eichen
unser Haupt erheben
Hoffmann von Fallersleben wußte noch nichts von Stickoxiden, sauren Niederschlägen und Waldschadensinventuren, als er die deutsche Eiche zum Vorbild aller Aufrechten machte. Inzwischen nagt die Emission auch am deutschesten aller Bäume. Gerade bei ihm hat die Morbidität im vergangenen Jahr besonders heftig zugenommen. Und die Eiche stirbt spektakulär: Steht sie heute noch proper da und scheinbar gesund, kann sie in sechs Wochen schon dort sein, wo sonst nur ihre mächtigen Wurzeln hinreichen: im Haus der Toten.
Mit der Eiche stirbt mehr als ein Baum. Wie kein anderes Gewächs in unserem Tann symbolisiert sie deutschen Ur- und Ungeist. Die Eiche steht für Härte, Kraft, Treue und Zähigkeit. Eichen sind die Könige des Waldes. Unter dem Rauschen ihrer Kronen wurden den Göttern Opfer gebracht, unter alten Eichen hielt man Gericht und holte Kraft zu neuen Taten.
Bei Griechen und Römern genoß dieser Baum höchstes Ansehen. Die Eiche war der Baum des Zeus, der sich im Rauschen ihrer Blätter offenbarte. Die älteste Orakelstätte der Griechen war eine Eiche im Hain zu Dodona in Epirus. Bei Homer war die Eiche das Sinnbild des Helden, bei den Römern kränzte das Eichenlaub den Sieger, und in beiden Kulturen wurde der Sud aus Eichenlaub, Rinde und Eicheln gegen Schmerzen aller Art eingesetzt. Das Kriechen unter den Eichen als zusätzliche Kur vertrieb die Krankheit.
Im Rheinland wurden Eichenklötze verbrannt und ihre Asche zu Weihnachten auf den Feldern verstreut, um das Ackerland fruchtbar zu machen und vor Unbill zu beschützen.
Im alten Testament ist die Eiche der Ort, an dem der Herr erscheint. Judas baumelte an einer Eiche. Dem altgermanischen Krieger war die Queste aus Eichenlob höchster Lohn, und „dem tapferen junggermanischen Landser entschädigte das güldene Eichenlaub am Revers die abgeschossenen Gliedmaßen“, wie Bartl Grill in seinem Abschied vom deutschen Wald schreibt. Aus Eichen züchteten die Nazis ihre arischen Stammbäume, die Steineiche steht für den „deutschen Volks-Stamm“.
Es gibt viele Gründe für die Verehrung und Mystifizierung der Eiche: ihre mächtige knorrige Gestalt, ihr unvergleichlich hartes Holz oder auch die wissenschaftlich bewiesene Tatsache, daß der Blitz in diesem Baum häufiger einschlägt als in jeden anderen. Deshalb war die Eiche dem Gewittergott Donar geweiht. Der war allerdings auch für die Fruchtbarkeit zuständig. Noch in diesem Jahrhundert sollen alte Jungfern in Holstein unter der Hochzeitseiche flaniert sein, damit auch sie noch einen Mann finden. Und auf vielen Bauerhöfen ließ man die Kuh, bevor man sie zum Bullen führte, über ein Eichenholz schreiten.
Wer sich heute das Sterben der Eichen ansieht und dazu die Luftreinhalte-Politik der Bundesregierung, dem fällt sofort das alte Testament ein: „Diejenigen, welche sündig sind und dem Herrn nicht treu, werden sein wie eine welke Eiche.“
Zum guten Schluß Franz Josef Strauß: „Wie eine Eiche hat er gelebt, wie eine Eiche ist er gefallen“, predigte Kardinal Ratzinger, bevor er Strauß der letzten Ruhestätte übergab im Eichensarg.
Manfred Kriener
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