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Die Macht der Religiösen

Daß religiöse Parteien bei Regierungsbildungen in Israel mitentscheidend sind, ist nicht neu. Bei früheren Koalitionen sowohl der Arbeiterpartei als auch des Likud waren sie das zünglein an der Waage und oft in der Lage, Regierungen nicht nur entscheidend zu unterstützen, sondern auch Koalitionen zu Fall zu bringen.

Für entsprechende Konzessionen im religiösen Schulwesen, in der Einhaltung der Kaschrut und der Sabbatruhe sowie der Befreiung der orthodoxen Juden vom Militärdienst und gegen enorme finanzielle Zuwendungen des Staates an ihre Institutionen waren die religiösen Parteien stets bereit, in eine Koalition, sei sie rechts oder links, einzutreten. Außerdem wurden ihnen wichtige Machtpositionen in Ministerien oder in den entscheidenden Finanzausschüssen des Parlaments eingeräumt.

Der Einfluß der religiösen Parteien ist seit der Eroberug der historischen Teile Großisraels im Jahre 1967 ständig gewachsen. Das hat mit einer Mischung militanter nationalistisch-radikaler Ideologien bei den verschiedenen Parteien im religiösen Lager zu tun, die im Zuge der Kriege und der andauernden Besatzung immer zu den scharfen Gegnern jeder Rückgabe der aus ihrer Sicht „befreiten Gebiete“ zählten.

Ihr fanatischer Extremismus fand dabei Ausdruck etwa in der Tätigkeit jüdischer Organisationen, die vor einigen Jahren in Ostjerusalem und im Jordan-Westufer Bombenanschläge gegen Palästinenser verübten und die Sprengung der Moscheen auf dem Tempelberg in der Jerusalemer Altstadt planten. Man erinnert sich auch des intensiven Widerstands, der 1982 den Rückzug Israels aus den Siedlungen im Sinai unmöglich machen sollte.

Ähnlich wie in den islamischen Ländern hat sich in Israel der jüdische Fundamentalismus breit gemacht. Eine Bewegung zurück zum orthodoxen Glauben hat viele zehntausende Jugendliche aus nicht-religiösen Familien bekehrt. Religiöse Familien sind besonders kinderreich, und unter den Neu -Einwanderern der letzten beiden Jahrzehnte befanden sich verhältnismäßig viele religiöse Juden.

Ein Großteil der bevorzugten und subventionierten Siedler in den besetzten Gebieten zählt zum fanatisch-religiösen Lager, wobei zwischen Orthodoxen und rechtsradikalen Gruppen kaum noch zu unterscheiden ist.

Ein wichtiger Faktor war die erstmalige aktive Beteiligung der chassidischen „Habad„-Bewegung am Wahlkampf und ihres allmächtigen „lubawitscher“ Rabbiners in New York, der seine Leute - soweit sie israelischer Staatsbürgerschaft waren auch zum Wahlkampf nach Israel einfliegen ließ. Schließlich gab es Stimmen der rechtsextremen Kach-Bewegung des Rabbiners Meir Kahane - dessen Partei sich an den Wahlen nicht beteiligte -, die den anderen religiösen Parteien zugute kamen.

Die Wahlresultate in den rückständigeren Entwicklungsstädten und -dörfern zeigen einen Zuwachs bei den verschieden religiösen Listen.

Die Möglichkeit einer Regierungsbildung mit den liberalen und linken Parteien ist deshalb sehr eingeschränkt. Infrage käme jedoch eine Spaltung des religiösen Lagers, wobei ein weniger radikaler Teil zu einer kleinen Koalition bereit wäre, die die Arbeiterpartei zusammen mit ihren linkeren Gruppen bildet. Das würde große Opfer und Konzessionen seitens der nicht-religiösen Koalitionspartnern erfordern ideologische wie finanzielle. Vielleicht sind sie dazu bereit, weil anders ein Friedensprozeß nicht denkbar ist.

Das Vorhandensein religiöser Parteien in einer Regierung bedeutet jedoch nicht, daß die Gefahr einer Annexion der besetzten Gebiete jetzt akuter wird. Man ist sich darüber einig, daß der Status Quo einer Angliederung vorzuziehen ist, solange noch sieben Millionen Palästinenser die bestzten Gebiete bewohnen. Israel ist an dem Land interessiert, fürchtet jedoch den jüdischen Charakter des Staates aufs Spiel zu setzten, wenn die Anzahl der palästinensischen Araber in Groß-Israel auf weit über zwei Millionen anwächst.

Im Laufe weniger Jahre gäbe es dann eine palästinensische Mehrheit: eine demographische Gefahr, die die Arbeiterpartei während des Wahlkampfs in das Zentrum ihrer Propaganda gestellt hat.

Rechtsextreme Parteien wie Moledet (Heimat) wollen diese Probleme lösen, indem sie die palästinensische Bevölkerung in die arabischen Nachbarländer „transferieren“, d.h. zwangsweise abschieben, bevor das Jordanwestufer amtlich zu einem Teil Israels wird.

Amos Wollin

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