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Gesetzwidrig gegen die Armen

■ Sozialsenator verliert Prozeß um verspätete Sozialhilfeerhöhung, spart aber trotzdem 700.000 Mark / Behörde hat Berufung gegen Urteil des Verwaltungsgerichtes eingelegt

Jedes Jahr im Frühsommer beginnt zwischen Finanz-und Sozialsenator ein heftiges Feilschen. Wieviel darf's denn mehr sein, lautet die Frage und die Anwort je nach Haushaltslage 1,5 oder auch mal zwei Prozent. Für die Betroffenen, die SozialhilfeempfängerInnen in Bremen, hängt von dem Ergebnis ab, ob sie nun karge acht, oder vielleicht zwölf Mark mehr in ihrem monatlichen Haushaltsbudeget veranschlagen können.

1986 verfiel der Sozialsenator auf einen kostensparenden aber, wie das Verwaltungsgericht Bremen jetzt feststellte, rechtswidrigen Trick. Die Sozialhilfeerhöhung wurde kurzerhand vom 1. Juli auf den 1. September verschoben. Kostenersparnis für die Stadtgemeinde: 700.000 Mark. Gestern informierte der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband über die Gerichtsentscheidung, die für die ganze Bundesrepublik Grundsatzcharakter erhalten kann. Denn inzwischen sind fünf Bundesländer dem Bremer Beispiel gefolgt und haben die Sozialhilfeerhöhung zeitlich verschoben. Bremen selbst hat 1987

und 1988 zwar verspätet, dafür aber mit einer entsprechenden Nachtragszahlung erhöht.

59,60 Mark, so will es das Gericht, wird Bremen einer Mutter und ihren drei sozialhilfeberechtigten Kindern für die Monate Juli und August 1986 nachzahlen müssen. Die Frau war die einzige, die den Weg über die Instanzen bis zum Gericht gegangen war. „Die Hilfeempfänger zu mobilisieren ist sehr schwierig“, so gestern Jens Schröter vom Verband Alleinerziehender Mütter und Väter über den Versuch Klagewillige zu mobilisieren. „Die haben Angst vor dem Sachbearbeiter und sagen: 'Dann kriegen wir beim nächsten Mal keine Turnschuhe mehr.“

So werden alle anderen der etwa 50.000 SozialhilfeempfängerInnen leer ausgehen. Denn das Verwaltungsgericht hat zwar die Unrechtmäßigkeit der Behörde bestätigt, aber eben nur für diesen Einzelfall. Reiner Sobotta von der Arbeitsgemeinschaft Arbeitsloser Bürger appellierte gestern deshalb an die „moralische Pflicht des Senats gegenüber denjenigen, die am Monatsende

nichts mehr zu essen haben“, und forderte eine nachträgliche Zahlung auch für alle Sozialhil feempfänger.

Die Sozialbehörde allerdings geht einen anderen Weg. Harry -Lutz Schmitz aus der Rechtsabteilung der Behörde bestätigte gestern, daß gegen das Urteil Berufung eigelegt wurde. Begründung: Die Stadtgemeinde könne frei über den Zeitpunkt der Erhöhung beschließen. Eben das hat das Verwaltungsgericht verneint. „Notwendig werdende Neufestsetzung sind zu dem Zeritpunkt vorzunehmen, von dem an Rentenerhöhungen (...) auf die Leistungen des Bundessozialhilfegesetzes anzurechnen sind. Damit schreibt das Gesetz einen festen Zeitpunkt (...) verbindlich vor,“ heißt es in der Urteilsbegründung.

Die Sozialbehörde kalkuliert eine erneute Niederlage durchaus mit ein, hofft dann aber für zukünftiges Gerangel zwischen Finanz-und Sozialsenator bessere Argumente zu haben: „Sollten wir unterliegen, muß sich auch der Finanzsenator diese Entscheidung vorhalten lassen.“

hbk

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