piwik no script img

Wie politisch war die 'Gruppe 47'?

■ Zur Eröffnung einer Ausstellung über die 'Gruppe 47' warf Erich Kuby der Schriftsteller-Vereinigung mangelndes politisches Engagement vor. Eine Antwort auf seine Thesen veröffentlichen wir...Freitag...

Erich Kuby

In den 'Horen‘, Heft 1, 1988, macht sich der Autor Heiko Postma, von dem man erfährt, er sei seit 1985 Mitglied der 'Horen'-Redaktion, über viele Seiten hinweg Gedanken, was das eigentlich gewesen sei, diese Gruppe. Das geht einfacher. Ganz zu Anfang handelte es sich um die Fortsetzung des Feuilletons des 'Ruf‘ mit anderen Mitteln, für die Richter ein Ritual ge- und erfunden hat, wie Höfer für seinen Frühschoppen. Sodann wurde sie zu einer Stätte der Begegnung von Schreibern, ein Ersatz, wie auch gesagt wurde, für das Romanische Cafe der zwanziger Jahre in Berlin, in der sich, wer dazu eingeladen wurde, zunächst vor kritischen Kollegen, sodann vor hauptberuflichen Kritikern produzieren durfte mit irgend einer gerade frisch aus dem Ofen gekommenen Semmel. Es muß bei Richter eine sich allmählich verlängernde, unter kollektiver Beratung wachsende Liste der Einzuladenden gegeben haben, aber sie wurde nie veröffentlicht, sie blieb ein streng gehütetes Geheimnis. Bei Richter auf der Liste zu stehen, war eine Art Eintrittskarte auf den Büchermarkt. Auf dieser Basis entwickelte sich dann mit dem wachsenden Erfolg der Eingeladenen und Vorlesenden ein ganz hervorragend funktionierendes Marketing-Unternehmen. Die Verleger brauchten die Gruppe, nicht umgekehrt. Für die sich regelmäßig einfindenen Literaturkritiker, von denen ein sehr bekannter eigentlich ein Musikkritiker gewesen ist, war es die ersehnte Gelegenheit, ihre Pfauenräder zu schlagen, was ihnen in ihren eigenen Redaktionen ähnlich nicht möglich gewesen wäre.

Was ich nun sagen will - und es sind keine Erkenntnisse, die ich im Nachhinein gewonnen habe, wie ich mit meinen Berichten über Gruppentagungen beweisen kann - würde ich nicht sagen, hätte die Gruppe Schriftsteller und Dichter zusammengebracht vom Rang Kafkas, Musils, Joyce und Proust. Da ich nach dem politischen Standort der Gruppe frage, wäre ein solcher Ansatz absolut ausgeschlossen gegenüber literarischen Erscheinungen wie den Genannten. Das versteht sich wohl von selbst. Schreiber dieses Ranges sind jedoch in der Gruppe 47 nicht vorhanden gewesen. Nur bei Johnson bin ich mir nicht sicher, ob er nicht vielleicht doch durabler sein wird als alle anderen, die zur Gruppe gezählt werden konnten. Ich bin mir hinsichtlich seiner deshalb nicht sicher, weil ich ihn nicht lesen kann und weil ich vor 40 Jahren Musil auch nicht lesen konnte, indes ich ihn heute lese wie einen Krimi der Highsmith.

Es könnte mir verübelt werden, daß ich die so ungemein erfolgreiche, teilweise nach wie vor ungemein populären, viel gelesenen, diskutierten Schriftsteller, die der Gruppe 47 Glanz, Erfolg, Ansehen verliehen, offenbar unterhalb der Großen der Literatur ansiedle. Wer mir deshalb zürnt, von dem darf ich annehmen, daß er beispielsweise die 35 Bände von Paul Heyse in seiner Handbibliothek stehen hat, täglich darin liest, und also auch weiß, daß es sich bei Heyse um den ersten deutschen Empfänger des Literaturnobelpreises handelt.

Wir haben es also mit hochangesehenen, auch mit einigen bereits heute nicht mehr ganz so hoch angesehenen Schriftstellern zu tun, bei denen sehr wohl danach gefragt werden darf, ja, gefragt werden muß: Wo habt ihr eigentlich auf dem gesellschaftspolitisch zu vermessenden Gelände der Zeit, in der ihr geschrieben habt und schreibt, gestanden, auf dem Gelände dieses Staates, der damals der Staat Adenauers gewesen ist. Diese Frage zu stellen, ist um so berechtigter, als sich die vorwiegend neidischen Kollegen und Kritiker, die nicht von Richter eingeladen wurden, ihr den in seiner propagandistischen und ökonomischen Wirkung gar nicht zu überschätzenden Gefallen getan haben, die Gruppe als eine subversive linke Organisation hinzustellen, einzig deshalb, weil in der Tat die Siebenundvierziger ausnahmslos antifaschistisch und humanitär orieniert gewesen sind - was freilich beispielsweise Andersch nicht hinderte, Ernst Jünger zu verehren.

Ich zitiere mich nun aus einem im 'Stern‘ gedruckten Bericht über die Tagung in Schweden: „Plaudernd stand man mit Gläsern im Stadthaus von Stockholm, bis ein Trompetenstoß, von der Galerie geblasen, die Gesellschaft über eine Marmortreppe in den Goldenen Saal rief. Es war fast wie in Bayreuth. Zur geräucherten Forelle sang eine Dame nicht Schubert, sondern Mendelsohn. Es war der absolute Höhepunkt im siebzehnjährigen Dasein der Gruppe 47, wobei allerdings weniger an ihre literarische Produktivität gedacht ist als vielmehr an ihr Sozialprestige, parfumiert mit einem Tropfen Politik. Hat doch die Gruppe, binnendeutsch gesehen, ein linkes Rüchlein an sich, ja sogar von Opposition und Staatsfeindlichkeit - hier in Stockholm stellte sie für ganz Schweden das geistig-literarische Deutschland von heute dar.„

Und ein paar Absätze später, als ich auf die Lesungen in der Volkshochschule Sigtuna zu sprechen komme: „Im wesentlichen stumm, zuweilen auch mit dem sprichwörtlich rechten Wort zur rechten Zeit, steuert er das Schiff Gruppe 47 - Hans Werner Richter. Mehr denn je vermeidet er nicht nur Felsen und Untiefen, sondern auch das offene Meer. In Sigtuna entstand der Eindruck, die Gruppe mache nur noch Übungsfahrten im Hafen.„

Und im 'Spiegel‘, 1966 (ich zitiere nach dem Manuskript, das nicht wortgleich mit der veröffentlichten Fassung ist), schrieb ich: „Wir alle hatten US-Visen von ganz verschiedener Dauer, je nachdem die politische Harmlosigkeit des einzelnen vom CIA bestätigt oder in Frage gestellt worden war. Den ersteren wurde im Visum sogar bescheinigt, es bestünde über sie kein Aktenzeichen beim CIA, no file number given. In der feierlichen Universitätshalle macht Richter um 10 Uhr 15 den Versuch, die Würde zu vertreiben, die der Saal den Anwesenden aufnötigen möchte. Er spielt Bannwaldsee 1947.

Ich liste in diesem Bericht eine Art Grundgesetz der Gruppentagungen auf, in dessen Paragrah 5 steht: 'Die Kritik darf sich nur mit dem Text beschäftigen, der gerade gelesen worden ist, nicht aber unter grundsätzlichen Gesichtspunkten, die Politik nicht aussparen könnten. Dieses Gesetz ist eminent gruppenpolitisch. Es garantiert den Bestand der Gruppe. Wäre nämlich zugelassen, was Richter mit Abscheu in der Stimme 'Grundsatzkritik‘ nennt, so wäre die Gruppe alsbald der Auseinandersetzung mit ihrem Selbstverständnis ausgeliefert, es würden Gegensätze aufgerissen, Standpunkte fixiert, Politik käme ins Spiel, mit einem Wort, die Gruppe würde am Ort der literarischen Taten mit der Außenwelt konfrontiert. Das hielte sie nicht durch.“

Und weiter: „In dieser Atmosphäre des 'Zügle deine Pferde!‘ fügt sich einer mit solcher Vehemenz ein, ja, ist auf vehemente Art derart betulich, daß man wenigstens ihm glaubt, er gäbe sich so auch ohne griechische Säulen, ohne das Sternenbanner in der Ecke. Dieser eine ist Grass, der sich auf dem Höhepunkt wenn nicht seiner Arbeit so doch seines Selbstgefühls zu befinden scheint. Der unermeßliche Erfolg tut ihm gut. Er ist die Milde selbst. Vom zweiten Tag an hat die Gruppe zwei Väter: Richter und Grass.„

Dann erwähne ich den Auftritt von Handke, der praktisch die Tagung rettete, und schreibe vermutlich als erster in der BRD: auf den paßt auf! Aber auch Handkes rabiate Kritik an dieser Großväterversammlung, an dem, was er läppische Beschreibungsliteratur nannte, ist fern von irgendeiner Art politischer Wertung. Ich zitiere weiter: „Der liebe Junge hat nur ungefähr wahr gesprochen. Es mag eine Beschreibungsliteratur geben, die gar nicht so übel ist, sofern sie sich der modernen Welt, sofern sie sich der Bundesrepublik auf eine Art bemächtigte, daß der Leser erführe, was eigentlich Sache ist. Was hier geboten worden ist - wo war Wirklichkeit? Selbst wenn ein politischer Angriff zum Entsetzen Richters vorgetragen wurde, wie von Lettau mit einem satirischen Gedicht auf Militär und Krieg wie charmant verfremdet war das, wie verspielt, wie herzig! Diese Literatur ist Flucht aus der Wirklichkeit, Unzuständigkeit, Unwissenheit, Lebensfremde, Lebensangst, Verkrochenheit, Schwachsinn und Langeweile. Unerträgliche Langeweile. Dies meinte dieser Junge, der wie ein Mädchen aussieht. Peter Handke aus Graz, ein listiger Bursche. Er stiehlt allen die Schau. Von Richter darauf aufmerkam gemacht, nun werde er ja wohl in den 'Spiegel‘ kommen, sagte diese sanfte Haubenlerche: 'Das weiß ich und das will ich ja.'

Die tägliche Suche in der 'New York Times‘: steht etwas über uns drin? Am Samstag kann man ein Interview mit Peter Weiss lesen. Darin sagte er: Ich bin nicht für den Krieg in Vietnam. Wir wünschen unsere Sympathie denjenigen zu bezeigen, die für ein anderes Amerika kämpfen, mit solchen Gruppen suchen wir Kontakt.

Freundlich, aber fragenden Blicks, legten amerikanischen Professoren Richter diesen Text vor. Er geriet in Erregung, war doch gerade dies verabredet: keine kollektive Anti -Vietnam-Erklärung abzugeben. Weiss dementiert vor versammelter Gruppe: Er habe nur im eigenen Namen gesprochen. Siehe da, selbst ein so wackerer Streiter für Recht und Gerechtigkeit ist im Dienste des Gruppen -Opportunismus aufspaltbar: in die produktive Person, die Stellung bezieht, und in das Gruppenmitglied, das Gesinnungsbekundungen durch manipulierte Geschmeidigkeit ersetzt hat. Man sieht zur Rechten und zur Linken einen halben Weiss heruntersinken. Im literarischen Netz bleiben zwei Gedichte von Grass, die Militärsatire von Lettau und ein Romanstück des Schweizers Bichsel. Das ist alles. Für die Regierung, für das nicht vertretbare Auswärtige Amt sind sie alle unsichere Kantonisten. Ach, wären sie es.“

Ich liefere hier keine Beschreibungsliteratur, aber Beschreibung. Nun lese ich dazu 1988 in den 'Horen‘: „Tatsächlich hat es eine Reihe von akuten Resolutionen einiger 47er gegeben, zum Springer-Boykott, zur 'Spiegel' -Affäre, zum 2.Juni 1967, aber Richter legte akribischen Wert darauf - Frage: was ist ein akribischer Wert? -, daß es sich dabei um Stellungnahmen aus der Gruppe, nicht etwa der Gruppe handelt.“

Nichtsdestoweniger kann Richter, befragt, wie denn die Gruppe entstanden sei und sich entwickelt habe, wie folgt zitiert werden: „Alles entstand so, entwickelte sich - ich sage das gern - organisch, nach einem ungeschriebenen Gesetz, wenn es so etwas gibt.“

Da lachen die Hühner. Sie hören auf zu lachen, wenn sie erfahren, Richter habe laut 'Horen‘ über die letzte Tagung in der Pulvermühle gesagt: „Ja, es bestand die Gefahr einer politischen Fraktionsbildung, die wahrscheinlich jedes Zusammengerhörigkeitsgefühl zerstört hätte.“ Goldrichtig, nur leider sagt es ein Mann, der in seiner Jugend Kommunist war, und der im 'Ruf‘ gleich Andersch pathetisch Sozialismus predigte („Europa wird sozialisisch sein oder es wird nicht sein“), ohne jemals einem Sozialisten zu sagen, was er denn in Praxis für dieses sozialistische Europa und Deutschland tun könne. Nichts hat sich aus sich selbst „organisch“ enwickelt. Der Initiator hatte begriffen, was Höfer auch begriffen hatte, und was die Dauerhaftigkeit von Höfers Frühschoppen einzig und allein garantiert hatte: Jede Veranstaltung, die eine wie die andere, mußte politisch plus 1 minus 1 gleich 0 aufgehen. Dies über Jahrzehnte durchzuhalten, bis eine politische Bewegung in den sechziger Jahren entstand, welche die Gruppe wegwischte wie ein feuchter Schwamm Kreideschrift auf einer Schultafel, war eine Meisterleistung des in Bonhomie verpackten Terrors. Niemand wird bezweifeln, daß sie von den nutznießenden Literaten her, ja, seitens der ganzen westdeutschen Nachkriegsliteratur als verdienstvoll angesehen werden muß. Für mich allerdings ist dieser politische Neutralismus von herausragenden Intellektuellen der Bundesrepublik, von denen doch einige wie Weiss und Fried und, mit allen Vorbehalten, auch Grass politisch stark engagiert waren und sind - wobei ich freilich denke, daß ein Engagement für die SPD eigentlich Engagement für politischen Neutralismus, für das Jein ist - ja, für mich war und ist dieser verordnete und, schlimmer noch, hingenommene Neutralismus eine Schande. Und das habe ich auf den Tagungen gesagt, an denen ich teilgenommen habe. Links denken, aber nicht links handeln ist wertlos. Dieses Handeln, Lenin ist dafür das Beispiel, kann darin bestehen, in Zürich Artikel zu schreiben oder darin, den Winterpalast zu stürmen. Das Handeln der Siebenundvierziger hätte vermutlich nur Schreiben sein können, ein Schreiben, daß die Gruppe spätestens Mitte der fünfziger Jahre in die Luft gesprengt hätte. Über eine solche Gruppe wäre zu reden als über den praktizierten Versuch, der politischen Impotenz des anderen Deutschland, das die Gruppe zweifellos repräsentierte, ein Ende zu machen auf Zeit und Widerruf.

Eine letzte Bemerkung, um nicht ganz falsch verstanden zu werden: Nach dem Hinscheiden der Gruppe entstand eine Literatur, die kaum diesen Namen verdient, weil sie mehr oder weniger aus etwas verfremdeten politischen Kommentaren bestand. Nichts lag und liegt mir ferner, als mir eine in dieser Weise produktive Richtung des Schreibens als wünschenswert vorzustellen. Aber es geht ja auch anders. Wenigstens der ganz frühe Böll, auch der blechtrommelnde Grass, vielleicht sogar Hochhuth und Frisch haben in unserer Zeit vorgeführt, daß es auch anders geht, von Peter Weiss und Fried ganz zu schweigen, Kipphardt möchte ich hier nicht vergessen. Als Gruppenmitglieder haben sie sich, von letzterem abgesehen, der nicht zu ihr zählte, in eine Isolierzelle sperren lassen. In einem elfenbeinernen Turm hat keiner von ihnen gewohnt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen