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Abschied des behinderten Allroundsportlers

■ Nach dem spektakulären Erfolg der Paralympics von Seoul eröffnen sich dem Behindertensport neue Perspektiven: High Tech und Professionalisierung / 8. Paralympics als „Fachmesse für Orthopädietechnik“

Seoul (taz) -Worte wie „Historische Spiele“ oder „Meilenstein in der Geschichte des Behindertensports“ fielen nach Abschluß der 8. Paralympics in Seoul. In der Tat: Noch nie war der Zuspruch - sowohl von den Zuschauern als auch von den Medien - bei einer Behindertenolympiade so groß wie dieses Mal in Südkorea. Zur Eröffnungs- und Abschlußfeier kamen rund 100.000 Besucher ins Olympiastadion, Wettkampfhallen waren teilweise bis auf den letzten Platz gefüllt. Für alle Aktiven eine vollkommen neue Erfahrung.

Bernd Eickemeyer, einer der bundesdeutschen Schwimmer, spricht wohl für alle Sportler, wenn er sagt: „Die Kulisse war einfach kolossal. Es war ein irres Gefühl zu spüren, daß die Leute an deiner sportlichen Leistung interessiert waren.“ Die AthletInnen haben zum ersten Mal, so Bärbel Zielonka, Bronzemedaillengewinnerin im Diskuswurf, so etwas wie Gleichberechtigung mit den nichtbehinderten Olympioniken erfahren.

„Ich weiß nicht, ob wir jemals noch so gigantische Weltspiele der Behinderten erleben werden“, gab Carl Wang, Präsident des norwegischen Behinderten-Sportverbandes zu bedenken. Welches europäische Land könne sich zum Beispiel diesen immensen Personalaufwand wie Südkorea leisten. Dessen Staatspräsident Roh Tae-Woo hatte die Paralympics zur nationalen Pflichtaufgabe erklärt.

Über 25.000 Koreaner waren eingesetzt, um das organisatorische Räderwerk nicht zum Stillstand kommen zu lassen. Obwohl die enormen Besucherzahlen nicht darüber hinwegtäuschen dürfen, daß behinderte Sportler noch Jahre um ihre Anerkennung kämpfen müssen, können diese Paralympics sicherlich zum Wendepunkt im Behindertensport werden.

In Seoul wurden Entwicklungen gezeigt, die noch vor Jahren für undenkbar gehalten worden waren. „Die Zeiten“, sagt Elmar Haasken, Schwimmtrainer des Deutschen Behinderten -Sportverbandes (DBS), „als Behinderte die Medaille quasi im Vorübergehen einsammeln konnten, gehören der Vergangenheit an.“ Ohne ein gezieltes und konsequentes Training seien Erfolge in der Weltspitze kaum noch möglich. Diese Professionalisierung im Leistungssport der Behinderten wirft auch die Frage der Finanzierung auf.

„Es ist sicherlich ein Fortschritt, daß wir heute Unterstützung von der Sporthilfe bekommen“, meint der Freiburger Leichtathlet Matthias Berg, „von den 150 bis 250 Mark im Monat lassen sich aber keine großen Sprünge machen.“ Sponsoring heißt deshalb auch im Behindertensport seit kurzem das finanzielle „Sesam-öffne-dich“. Vorreiter auf diesem Gebiet waren, wie nicht anders zu erwarten, die US -Amerikaner. Einige ihrer SpitzenathletInnen können von Werbeverträgen leben.

Hierzulande gehört Ulf Mehrens, Trainer der Rollstuhlbasketball-Mannschaft zu den Verfechtern einer Öffnung des DBS für Werbegelder: „Auch das ist ein Stück Gleichberechtigung“. Sein „Wheelchair Team“ wird von einem Sportartikelhersteller und einer Rollstuhlfirma unterstützt. Wolfgang Raabe, Werbeleiter eines westfälischen Betriebes, erklärt die Vorteile der Zusammenarbeit aus seiner Sicht: „Die Erkenntnisse, die wir bei der Herstellung der Sportrollis gewonnen haben, sind in die Produktion herkömmlicher Stühle geflossen.“

Sind die 24. Olympischen Sommerspiele von vielen Beobachtern zum Abschluß „Fachmesse für Doping“ genannt worden, so können die 8.Paralympics in Seoul durchaus den Untertitel „Fachmesse für Orthopädietechnik“ führen. Vertreter aus vielen Ländern informierten sich über den neuesten Entwicklungsstand von Prothesen und Rollstühlen. Und was sie zu sehen bekamen, versetzte selbst sie in Erstaunen. Mit einem neuen Spezialfuß für Unterschenkelamputierte, der die natürliche Abrollbewegung des Fußes imitiert, rannten die amerikanischen Leichtathleten ihren Konkurrenten auf und davon.

Dennis Oehler, dessen Leistungen durchaus mit denen eines Carl Lewis zu vergleichen sind, verbesserte den Weltrekord im 100 m-Sprint um mehr als eine Sekunde auf 11,73 Sekunden. „Wenn in Zukunft noch so etwas wie Chancengleichheit unter den Athleten bestehen soll, müssen alle Sportler mit diesem 'flex foot‘ ausgestattet sein“, verlangt Jürgen Johann, Leichtathlet und selbst in der Orthopädiebranche tätig, „denn sonst ist schon am Start klar, wer gewinnt.“ Um die Chancengleichheit zu wahren, müßten die Behindertensportverbände eine technische Kommission einsetzen, meint Mannschaftsarzt Dr. Gerhard Ascher: „Ein einheitliches Regelwerk sollte bindend für alle Sportler sein, denn sonst treten bald High Tech- gegen Entwicklungsländer an.“

Wegen der Professionalisierung und der medizintechnischen Entwicklung wird der behinderte Allroundsportler früherer Tage seinen Abschied nehmen. „Auch in unserem Bereich werden sich zunehmend die Spezialisten durchsetzen“, ist sich Heinz Haep, Präsident des DBS, sicher.

Ralf Köpke

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