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Flugzeugabsturz jahrelang vernebelt

Die italienische DC-9 war im Juni 1980 nicht abgestürzt, sie wurde von einem Nato-Jet abgeschossen / Italiens Staatsfunk RAI rekonstruiert die Katastrophe / Hand in Hand mit Nato-Stellen wurden die Hintergründe verschleiert / Offizieller Bericht angekündigt  ■  Aus Rom Werner Raith

Wieder einmal ist der italienischen Regierung eine Leiche aus dem Keller entkommen - und vielleicht nicht nur den Italienern. Die DC9 der Fluggesellschaft Itava, die am 27.Juni 1980 nahe der Mittelmeerinsel Ustica in der Luft explodierte, ist nicht „aus ungeklärter Ursache geborsten“, wie ausnahmslos alle vier seither amtierenden Verteidigungsminister versichert hatten, sondern von einer Rakete getroffen worden - abgefeuert von einem Nato -Flugzeug, das aller Wahrscheinlichkeit nach vom mittelitalienischen Flugplatz Grosseto aufgestiegen war.

Eine seit einem halben Jahr arbeitende Expertengruppe im Auftrag der Staatsanwaltschaft Rom hat diese - im übrigen bereits seit Jahren von Zeitschriften wie 'L'Espresso‘ und 'Panorama‘ verfochtene - These zur Gewißheit erhärten können. Auch wenn der offizielle Bericht erst Anfang Dezember veröffentlicht werden soll, konnte der staatliche Rundfunk RAI aufgrund der Spezialistenangaben die Flug -Katastrophe nun in einer minutiösen Rekonstruktion vorführen.

Danach herrschte zur Zeit des DC9-Fluges Bologna-Palermo kurz vor 21 Uhr reger Luftverkehr - vorwiegend militärischer. Nato-Jäger machten sich daran, sogenannte „Drohnen“ - an die zehn Meter lange Flugzeugatrappen abzuschießen. Wobei einer der wahrscheinlich italienischen F104-Jäger übersah, daß sich zwischen seiner Bordkanone und dem von einem englischen Flugzeug ausgesetzten Übungsziel just die (mit zwei Stunden Verspätung fliegende) DC9 befand. Keiner der 81 Insassen überlebte.

Der Hergang hätte innerhalb kürzester Zeit geklärt sein können; schon wenige Tage danach, so berichtete später der damalige Transportminister Rino Formica, habe ihm der für die Zivilluftfahrt zuständige General Saverio Rana von einem „zweiten Objekt nahe der DC9 berichtet, das sich benahm wie ein Jagdbomber„; das Objekt habe sich nach dem Verschwinden der DC9 vom Radarschirm in östlicher Richtung entfernt. Doch anstelle der Aufklärung der Katastrophe begann nun eine der gigantischsten Vernebelungsaktionen der gesamten Nachkriegsgeschichte - und offenbar hat der gesamte Nato -Führungsstab kräftig am Legen falscher Spuren mitgewerkelt. Kurz nach dem Absturz beschlagnahmten italienische Carabineri in der Flugleitstelle Ciampino in Rom sämtliche Aufzeichnungen über die Flugbewegungen der letzten Stunden Dokumente, die bis heute nur zum Teil wieder aufgetaucht sind. Die zwei für den Flugraum der Absturzstelle zuständigen militärischen Horchposten, Licola bei Neapel und Marsala auf Sizilien, erwiesen sich unfähig zur Rekonstruktion des Desasters: In Licola fanden sich lediglich ein paar stenographische Notizen, in Marsala wurde die Tonbandaufzeichnung auf ungeklärte Weise bereits vor der Beschlagnahme weitgehend gelöscht.

Regierung und Nato überboten sich nun an immer skurrileren Erklärungen, warum, man der Sache nicht auf den Grund gehen konnte. Mal war angeblich die Stelle nicht zu finden, wo die DC9 ins Wasser gefallen war, dann erzählten sie etwas von „fehlerhafter Wartung“ des Zivilflugzeugs. Als sich Gerüchte über ein „zweites Objekt“ verdichteten, behaupteten die Behörden zuerst, es habe in dieser Gegend seit mehr als einem halben Jahr überhaupt keine militärischen Übungen mehr gegeben. Als sich das nicht halten ließ, streuten Geheimdienste flugs eine neue Version: Nun sollte ein libyscher Jäger im Auftrag des bösen Oberst Ghaddafi geschossen haben, weil er in dem Flugzeug den amerikanischen Vizepräsidenten Bush vermutete. Als sich im Meer dann Teile einer eindeutig aus Nato-Beständen stammenden Rakete fanden, schoben sie die Hypothese nach, einer ihrer Abfangjäger habe möglicherweise Ghaddafi-Piloten durch einen Warnschuß verscheuchen wollen und die verirrte Rakete sei dann unbemerkt auf die DC9 losgegangen. Schließlich, als auch noch Teile der Flugattrappe aufgefunden wurden und man in der Eile nicht alle Buchstaben der Herstellerfirma (Beech Aircraft Corporation) übermalen konnte, was die Nachfrage über militärische Dokumente über die Flugbewegungen in jenen Tagen natürlich steigerte, verfielen die Nato-Militärs auch noch auf eine besonders dümmliche Erklärung für das Fehlen konkreter Aufzeichnungen: ihre Horchposten auf Sizilien, behauptete sie nun, könnten „leider nur solche Flugzeuge orten, die einen Identifikationscode ausstrahlen“ - als ob der Sinn solcher Anlagen darin bestünde, nicht identifizierte Objekte auszuspähen. Verteidigungsminister Valerio Zanone, ebenso an der Vernebelung beteiligt, spielt noch immer auf Zeit. Er müsse „erst den genauen Bericht abwarten“, erklärte er, vorher könne er nichts sagen. Der Bericht allerdings liegt bereits seit mehreren Wochen auf seinem Schreibtisch. Der italienische Ministerpräsident De Mita hat inzwischen eine erneute Untersuchung der Flugzeugkatastrophe angeordnet. Er forderte den verteidigungsminister Zanone auf, zu dem, Fall einen neuen bericht vorzulegen.

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