: „Arisieren“ und „entjuden“ - auch im „Viertel“
■ 1938 mußten Juden ihre Geschäfte an Arier zwangsverscherbeln - „arisieren lassen“ / Ein Gemüseladen und eine Bäckerei stehen noch an angestammtem Platz / Nicht jeder SA-Mann kriegte jüdischen Juwelierladen
Im Steintorviertel, Ecke Fehrfeld / Römerstraße, döst ein verschlafener Obst-und Gemüseladen vor sich hin. Sein Besitzer, Heinz Albers, führt außer Bananen und Rosenkohl auch den Weser-Kurier und die Freundin. Über dreißig Jahre steht der querulatorische Albers nun schon hinter dem langen Verkaufstresen. Die Geschichte seines Ladens? Ja, klar, die kennt er. Fritz Kleinschmidt? „Das war ein Jude. Den haben sie abkassiert. Den Laden haben sie dem abgenommen. Dann kam Otto Bartels, das war genauso ein Schwein.“ Der Bäcker neben „Vosteen“? „Das war auch ein Jude.“ Mehr will er der Reporterin nicht erzählen: „Heute ist genauso ein Scheiß -System wie unter Hitler. Man muß als erstes die Beamten abschaffen. Alle. Aber Sie wollen ja nur reden und schreiben.“
Da wo, der jüdische Bäcker war, „Vor dem Steintor 77“, das ist (noch) heute eine „erste-Sahne„-Adresse für alle, die exzellent-leckere Torten lieben oder ein Faible für ca. 35 verschiedene Brotsorten haben: Die „Wiener Feinbäckerei“. Der derzeitige Inhaber Adolf Ripke ist 1970 aus Essen nach Bremen gekommen. Er hat die Bäckerei von Hermann Schlüter übernommen, und der ist '86 gestorben. Seitdem muß er die horrende steigende Monatsmiete von derzeit 7.000 Mark an dessen Sohn Norbert Schlüter überweisen, und das obwohl es mit den Umsätzen und den Parkplätzen vorm Haus immer schwieriger wird.
Davon, daß die Bäckerei bis 1938 dem Bremer Juden Berthold Gröger gehörte und zwangsweise in das Eigentum von Hermann
Schlüter überging, „arisiert“ wurde, nein, davon hat er bisher nie etwas gehört. Dafür hat er auch kein richtiges Ohr, plagen ihn doch die eigenen Existenzsorgen und die Parkplatzprobleme.
Aber wie sollte er als Neu-Bremer auch von seinen Vorgängern wissen. Darüber reden die Nachbarinnen nicht, und für die „Judenakten“ im Staatsarchiv haben sich vor dem 50. Jahrestag der „Reichskristallnacht“ nur eine handvoll ForscherInnen interessiert und wenn, dann haben sie die Liste der „arisierten“ Geschäfte und Betriebe nie mit Namensnennung der „Arier“ veröffentlicht.
Diese Liste enthält 39 anno 1938 „in arische Hände übergegangene“ jüdische Großbetriebe und Einzelhandelsgeschäfte. 1938 hatte sich der endgültige Zugriff auf jüdisches Eigentum vollzogen. Am 26. April 1938 mußten alle - bis dato nicht emigrierten - Jüdinnen und Juden ihr sämtliches Vermögen bei der Innenbehörde „anmelden“. Kurz nach der Pogromnacht, am 12. November 1938, kam das endgültige Aus für Geschäftsleute und EinzelhändlerInnen: die „Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben“.
Bei diesem „Ausschalten“ gab es zwei Varianten: Das „Entjuden“ und das „Arisieren“. In der „Bremer Zeitung“ war der Unterschied erklärt: „Zwischen der 'Entjudung‘ und der 'Arisierung‘ ist insofern zu unterscheiden, als unter jener das Verschwinden, unter dieser der Übergang des jüdischen Geschäfts in arische Hand zu verstehen ist.“
Insgesamt gab es in Bremen im Vergleich etwa zu Großstädten
wie Berlin und Frankfurt wenig Juden und jüdische Geschäftsleute. Die „Bremer Zeitung“ wußte auch warum: „Die Ursache für diese geringe Zahl besteht darin, daß sich die Juden bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein bekanntlich nicht in der Stadt Bremen ansiedeln durften. Dies erklärt sich aus dem Charakter Bremens, dem jedes jüdische Wesen zuwider ist.“ In demselben Artikel vom 14.1.1939 vermeldete die „Bremer Zeitung“ Vollzug und rechnete vor: 52 jüdische Einzelhandelsgeschäfte bei der „Machtergreifung“ vorhanden, im Juli 1938 davon noch 33 in jüdischer Hand. Bei 24 dieser 33 Geschäfte wurde beschlossen, „das sie ver
schwinden sollen, die restlichen 9 Geschäfte dagegen sind auf Grund des Vorhandenseins eines volkswirtschaftlichen Bedürfnisses in arische Hände überführt worden.“ Und die Schlußfolgerung aus dem Rechenexempel und dem „Juden -Boykott“: „Demnach sind etwa drei Viertel der jüdischen Geschäfte eingegangen“.
Wer ein jüdisches Geschäft erwerben - „arisieren“ - wollte, mußte eine „makellosen Charakter“ vorweisen, da ihm, so die gleiche Quelle, „ein oft gewinn-bringendes Unternehmen in den Schoß fiel“. Zu denen, die 1938 ein solches gewinnbringendes Unternehmen erwerben wollte, gehörte der Juwelier Wilhelm Frölich. Am 12. November 1938,
drei Tage nach dem Pogrom, beantragte er bei der Kleinhandelskammer „ergebendst, mir die Genehmigung zum Erwerb und zur Fortführung des Herrn Fischbein gehörenden Juweliergeschäftes zu erteilen“. Wilhelm Frölich, der heute 83jährig noch in Bremen lebt und seinen Sohn und Nachfolger im Geschäft mit den Juwelen unterstützt, weiter: „Seit 1933 gehöre ich der SA als Sturmmann (SA-Ausweis Nr. 4997) an und habe Mai 1937 Antrag auf Aufnahme in die Partei gestellt (Ortsgruppe Bremen-Ostertor). Durch diese Tatsachen dürfte meine politische wie weltanschauliche Zuverlässigkeit wohl als erhärtet zu betrachten sein. Über meine fachlichen Qualitäten
ist folgendes zu sagen: Ich stamme aus einer alten arischen Goldschmiedefamilie, welche die Tätigkeit als Goldschmied seit 1825 pflegt. Ich arbeite seit 1921 als Goldschmied, und führe das Geschäft meines Vaters selbständig und unter eigener Verantwortung.“
Trotz dieses beeindruckenden „arischen“ Lebenslaufs bekam nicht Wilhelm Frölich, sondern die Konkurrenz, das Gold-und Silberwarengeschäft „L. Solte“ (Ostertorsteinweg 47) den Zuschlag. „L. Solte“ wiederum machte Ende der 70er Jahre die Läden dicht. Im Gegensatz zu Wilhem Frölich, der, mit seinen 83 Jahren heute noch als Juwelier tätig ist. An seinen Eintritt als Vorstandsmitglied des Bremer Rudervereins in die„Marine-SA“ erinnert er sich noch gut, ebenso an den Juwelier Fischbein: „Ich habe zu dem eigentlich ein gutes Verhältnis gehabt.“ Aber von seinem Brief und seinen Übernahmegelüsten auf das Geschäft „Fischbein“ , davon weiß er nichts mehr. Wilhelm Frölich: „Man hat ja manches vergessen.“
Barbara Debus
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