: Den Denkmalschutz realistisch mißverstehen
■ Der Architekt Gerhard Spangenberg zum geplanten Um- und Neubau der Kochstraße 18
Die taz muß erweitern. Das tut sie an einem Ort, der die Spuren städtebaulicher Fehlplanungen trägt. Nach dem Krieg sollte die Trasse der Kochstraße um gut 21 Meter nach Süden erweitert werden. Die Zäune wurden schon versetzt, die Erweiterung fand jedoch nicht statt. Die damaligen Neubauten wurden allerdings schon auf der neuen Bauflucht mit diesem vorgegebenen Abstand, d.h. zurückgesetzt, errichtet. Die Straßenerweiterungsfläche wurde einstweilen mit Abwartegrün ausgestattet. Diese Grünflächen sind wegen ihrer Lage nach Norden verschattet, der vollen Lärm- und Abgasimmission der Kochstraße ausgesetzt - aber sie sind doch immerhin Grünflächen in der größtenteils versteinerten und versteppten Südlichen Friedrichstadt. Die alten Gewerbebauten, vor allem an der Kreuzung Koch-/ Friedrichstraße, ragen heute in diese 21-Meter-Fläche hinein, weil sie die stadtplanerische Abrißpolitik überleben konnten.
Das ist die Ausgangslage für die Grundstücke Kochstraße18 und 19-21 sowie Charlottenstraße84. Das Nachbarhaus in der Charlottenstraße85 beherbergt Seniorenwohnungen. Es erstreckt sich an der zurückgesetzten Begrenzungslinie der als Rennbahn entlang der mauer geplanten Kochstraße bis an den rückwärtigen Teil des Altbaus Nr.18. Diese Flanke des Nachbarhauses sieht aus wie eine gelochte Brandwand, so, als müsse sie sich gegen eine verbreiterte Kochstraße abschotten. Sie sieht nicht aus wie die Fassade an einer neuen urbanen Straße.
Die taz zieht also mit Verlag, Redaktion und Produktion an die Kochstraße. Ein Teil der notwendigen Räume muß in einem Neubau untergebracht werden, dessen Volumen ungefähr der Größe des Vorderhauses Nr.18 entspricht. Die Fragen nach dem notwendigen und sinnvollen und sinnlichen Umgang mit den existierenden Resten der Stadt werden hier gestellt: Wie nistet man sich in alten vorgefundenen Gebäuden ein und gibt ihnen eine neue Bedeutung? Wie kann man ein altes Straßenbild, das der Kochstraße, ohne fruchtlose Kulissenschieberei wiedergewinnen und damit einen Teil der alten Brauchbarkeit und Ausstrahlung? Wie kann man in die Stadt wohnen und Aarbeiten, d.h. die alte „Kreuzberger Mischung“ zurückbringen? (Die IBA konnte hier nur Wohnungen bauen). Wie kann man aus Restgrün, dem Grün auf Abruf, kleine urbane Grünräume bilden, in denen es Spaß macht, sich aufzuhalten? Wie bekommt man das Blech weg von den Straßenrändern? Wie kann man etwas Neues anfangen, ohne Altes zu zerstören?
Aus diesen Themen ergibt sich eine ganze Reihe von Entwurfsvarianten, die zwischen Senat, Bezirk, Anwohnern und taz in Umlauf gebracht werden.
Soll ein Baukörper an der Ecke Koch-/ Charlottenstraße errichtet werden, um den Straßenraum als Ort für öffentliche Aktion wiederzugewinnen? Soll das verschattete Abstandsgrün zu einem ganzjährig nutzbaren Grünbereich umgestaltet, d.h. mit einem Wintergarten mit Wasserkaskade, Wärmespeicher- und Sonnenreflexionswänden überbaut werden - oder als „Taschenpark“ mit klimatisierender, immissionsschluckender Wasserwand (direkt zugänglich vom Seniorenwohnhaus) ausgebaut werden? Oder reicht etwas mehr Pflege des bestehenden Provisoriums? Gibt es eine große Tiefgarage für die Benutzer der umliegenden Blöcke - oder eine kleine für die taz - oder nur einen großen Fahrradständer? Nach vorläufigem Diskussionsschluß bleibt eine „kleine Lösung“ übrig, die das Weiterdenken provoziert. Bauen in Kreuzberg kann wohl nur heißen, Fragmente miteinander ins Spiel zu bringen.
Das alte Gewerbegebäude Nr.18 wird an seiner östlichen Brandwand einen Anbau erhalten. Der Altbau selbst ist denkmalgeschützt, was man realistisch mißverstehen sollte. Der Neubau auf dem Grundstück der alten Hausnummer19 wird sich auf den Altbau beziehen, ohne sich ihm anzupassen. Wechselrede ist das Prinzip, nicht historisierendes Nachplappern.
Der Altbau soll so weit instandgesetzt werden, daß ein weiterer Verfall gestoppt wird. Er wird jedoch nicht in seinen Entstehungszustand zurückversetzt, sondern er wird als Denkmal behandelt, gerade wegen der Schrammen, die er im Laufe der Zeit abbekommen hat. Die sollen nicht geglättet und weggeschminkt werden. Z.B. werden fehlende Teile der polierten Natursteinpaneele oder der profilierten Türlaibungen nicht ergänzt oder nachempfunden. Alle notwendigen Ergänzungen und Ausbauten des Altbaus werden als eigenständige Teile in Erscheinung treten, die den Aneignungsprozeß des neuen Benutzers deutlich machen. Die Ausstattungselemente werden nicht als denkmalsschützerisch abgesegnete Gemütlichkeitsaccessoirs auftreten, die so tun, als ob sie immer schon dagewesen wären.
Bei einer Raumhöhe von rund vier Metern mit den entsprechend hohen Fenstern kann das natürliche Licht das Gebäude soweit erhellen, daß möglichst keine dunklen Raumbereiche entstehen. Der Raum wird weitgehend transparent in einzelne Arbeitsbereiche gegliedert, damit auf allen Ebenen die jeweilige Geschoßfläche in ihrer gesamten Ausdehnung optisch erfahrbar bleibt. Eingestellte Glaswände, mobile Stellwände, Jalousien und Möbel sind die Gliederungsteile. Je offener und variabler ein Raumgefüge entwickelt ist, umso gezielter müssen die akkustischen Kontakte gesteuert werden. D.h. möglichst viele der geschlossenen Flächen, vor allem die Decken und die Raumseiten der Brandwände, werden schallschluckend ausgebildet; dagegen werden an Punkten, wo in größerem Kreis diskutiert wird, schallreflektierende Flächen gerichtet angebracht.
Die einzelnen Arbeitsbereiche der taz werden so angeordnet sein, daß sie auf möglichst kurzen Wegen auf der jeweiligen Etage oder über eines der beiden Treppenhäuser erreichbar sind. Das interne Raumgefüge wird von programmatischer Unbestimmtheit sein.
Das Gleiche gilt für den fünfgeschossigen Neubau, der an die östliche Brandwand des Altbaus auf dem Grundstück der alten Hausnummer19 anschließt. Beide Gebäude werden gemeinsam durch das Treppenhaus und den Aufzug des Altbaus erschlossen. Der Neubau übernimmt mit seinen Geschoßhöhen von 4,10 m und seiner Traufkante von 22 m die Grundmaße des Altbaus. Mit seiner Grundfläche von 16x16 m ist er annähernd so breit und genauso tief wie das Vorderhaus des Altbaus.
Als Baukörper in filigraner Stahlverbundbauweise besetzt er gute 25% der Grünfläche vor dem Seniorenwohnheim. Das Material erlaubt eine weitspannende Konstruktion, so daß Gruppenbüros stützenfrei und frei unterteilbar eingerichtet werden können. Raumhohe Fensteröffnungen ermöglichen eine große Belichtungstiefe und einen engen optischen Kontakt zwischen Straße und Produktionsstätte. Ausschwingende Balkone richten sich auf die kleine Grünfläche. In den Kern der obersten Geschosse wird ein Gebäudekörper mit geringerer Geschoßhöhe eingefügt, der kleinere Rückzugsbereiche schafft. Dieser Gebäudekörper tritt oberhalb der Dachfläche als eigenständiger Aufbau hervor. Er bildet einen Pavillon auf der Dachterrasse und lenkt mit seinem segelartigen Dach Sonnenlicht in den Gebäudekern (schafft also eine Ahnung von Sonnenbaden, Gymnastik, Sauna und türkischem Bad). Das Erdgeschoß kann öffentlich genutzt werden, z.B. als Cafe, offen zur Straße und zum Grünparterre.
Und was nicht zu vermeiden ist: Der Neubau wird mit einer Tiefgarage unterkellert - aber es müssen ja nicht für immer Autos drinstehen. Denn Architektur für die taz mit veränderbaren Räumen macht Funktionen immer weniger spezifisch, läßt sie in der Schwebe. Die taz macht Vorgaben für eine sachliche, aber unangepaßte Architektur, beweglich genug für Veränderungen und hart genug für öffentliches Anecken.
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