piwik no script img

Von der politischen Kultur...

■ Rücktrittsforderungen genügen nicht oder: Politik wird nicht nur von der Regierung gemacht

Die veröffentlichte Meinung scheint sich einig: Es ist ein Skandal, wie der Senat den Begriff „politische Verantwortung“ neu definiert, damit Meyer an seinem Sitz kleben bleiben kann, es ist ein Skandal, wie Franke - mir nichts, dir nichts - sein Wort bricht, es ist ein Skandal, wie Scherf ganz offen seiner Verachtung des Kontrollorgans „Untersuchungsausschuß“ Ausdruck gibt, na, und daß der Filou Tepperwien das Handtuch geworfen hat, war ja das mindeste...

Und alle reden von der politischen Kultur. Aber was ist das denn? Heißt nicht Kultur „Pflege“, also: pfleglichen Umgang mit den Möglichkeiten, politische Ziele auch zu verwirklichen? Wer redet bei der Schwarzgeldklinik darüber, daß Finanzmanipulationen a la Galla nur möglich sind in einem Kliniksystem, in dem Desinfektionsmittel wichtiger zu sein scheinen als Patienten, oder darüber, wie eine Klinik auszusehen hätte, die Men

schen gesund macht, statt sie zu reparieren? Wer von denen, die „politische Verantwortung übernehmen“ schlicht mit „Rücktritt“ gleichsetzen, hat sich denn Gedanken darüber gemacht, was es bedeutet, wenn der Polizeipräsident einen Bericht über das Versagen der ihm unterstellten Polizei schreibt, ganz so, als wolle er eine Theatervorstellung rezensieren, die er, mäßig interessiert, vom 1. Rang aus betrachtet hat? Und was geht in den Köpfen der Opposition vor, wenn sie auf sorgfältigster Arbeit im Geisel -Untersuchungsausschuß besteht, während sie die Bedeutungslosigkeit dieses Ausschusses durch Mißtrauensanträge und Rücktrittsforderungen dokumentieren hilft? Ist das politische Kultur?

Und die Presse? Ach richtig: Sie besitzt die „Informationspflicht“, und sie sorgt eifrig für Besitzstandswahrung. Welchem Zweck aber die Information eigentlich dienen soll und welche Wirkung sie hat, welche politische

Macht die Medien faktisch ausüben und wie mit dieser Macht „pfleglich“ (also in politischer Kultur) umzugehen sei, diese Frage zu stellen gehört nicht mehr zur Pflicht - „wir haben nur zu informieren“. Lieber eine Pressenotiz der Universität über enorm gesteigerte Drittmittelforschung in einen ironischen Artikel über die zunehmende Abhängigkeit vom Volkswagenwerk ummünzen, als zur Kenntnis nehmen, daß es sich um Mittel der VW-Stiftung handelt - eine der wenigen unabhängigen Stiftungen in der BRD, die wirklich noch gesellschaftlich wichtige Projekte fördert. Auch ist es ja viel verlockender, persönliche Querelen (oder was man dafür hält) zwischen Politikern samt zugehörigem Klatsch auszubreiten, als einmal mit der notwendigen Sorgfalt zu recherchieren, was es nun wirklich mit den zwischen Senat, Stadtwerken und dem Bremer Energiebeirat umstrittenen Gutachten zum Ausstieg aus dem

Atomstrom auf sich hat.

Gewiß: Bremens SPD steckt in der Krise. Bloß: es ist gar nicht die SPD allein, es ist das gesamte Geflecht bremischer Politik, Regierung, Parteien, Opposition, öffentliche Meinung: der Sinn für politische Kultur ist allgemein verloren gegangen. Politische Konflikte (die ja doch dazu dienen sollten, die jeweils beste Problemlösung in der Sache hervorzubringen) werden als persönliche Machtkämpfe mißverstanden, und die Sache, um die es geht, bleibt auf der Strecke.

Deshalb wird es auch nichts nützen, jetzt einfach nur Personen auszuwechseln. So paradox es klingen mag: es muß in Bremen wieder möglich werden, politisch zu streiten. Es muß wieder möglich werden, daß das Parlament in Bremen seine Kontrollfunktionen wahrnimmt, auch wenn wir auf lange Zeit ohne eine handlungsfähige Opposition auskommen müssen.

Christoph Fürleither

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen