: AUS SPASS WIRD ERNST
■ Jazz-Fest und Total Music Meeting
George Gruntz scheint für das diesjährige Jazz-Fest eine besonders raffinierte Strategie entwickelt zu haben. Den Eröffnungsabend bestritt er mit seiner eigenen Concert-Jazz -Band, bestückt mit hochrangigen Musikern in Massen. Allein die Trompeter, fünf an der Zahl, von Arturo Sandoval bis Franco Ambrosetti, könnten mit ihren eigenen Bands eine „Schiene“ besetzen. Im Bigband-Korsett eingezwängt bleiben ihnen jeweils nur die Soli und Duos mit „Gastmusikern“, wie der Sängerin Sheila Jordan, um zu glänzen. Jeweils ein Musiker stellt eine Komposition vor, Arrangeur und Pianist Gruntz mimt zwischendurch den Dirigenten und bei Ansagen den Conferencier. Dieser Mann versprüht den Charme eines Fernsehtalkmasters, was immer wieder vom Genuß der Band ablenkt.
Nach dreitägiger Dauerbeschallung beim Festival könnte einem der Verdacht kommen, Gruntz habe die interessantesten Musiker in seiner Band versammelt und seine drei Programmschienen Streichintsrumente, Akkordeon und „Serious Fun“ mit geschmäcklerischen Langweilern geschmückt.
In der Streicherabteilung beispielsweise Hank Roberts Black Pastels, die einen sphärischen Weltraumsound herstellen, bei dem der Sauerstoff sehr schnell ausgeht. Roberts schwelgt zum Cello in herzerweichendem Singsang, untermalt von Bill Frisells Gitarrenzirpen. Da können auch die Posaunisten um „Slickaphonic“ Ray Anderson nichts mehr ausrichten.
Der nächste Tonausfall auf dieser Schiene war anderntags das Sonya Robinson Quartet. Frau Robinson, immer ein breites Lächeln in die Kamera werfend, ihre netzbestrumpften Beine schwenkend, läuft dem Jazzrock der siebziger Jahre hinterher. Man wird schmerzhaft an damalige Kifferfeten erinnert, bei denen man mit Jean-Luc Ponty und Stanley Clark sein Bewußtsein erweiterte. (Das war wenigstens noch Musik d.S.)
In der Philharmonie bleibt nur die Flucht nach vorn, zum nächstgelegenen Buffet. Um seinen Platz zu verlassen, müssen aber alle anderen auch aufstehen. Wie im Theater zwängt man sich an Herrschaften in schmucker Abendgarderobe vorbei und wird dabei von den lauernden Fernsehkameras abgelichtet. Nach jedem Titel werden die Zuschauer von starken Scheinwerfern geblendet, das ersetzt im Studio Philharmonie die bei TV-Shows sonst üblichen Leuchtschilder „Bitte klatschen“ (aber nicht winken).
Hat man sich mit Bier und Zigaretten versorgt, wird man von den Platzanweiserinnen nicht wieder eingelassen. Im Saal darf weder geraucht noch gesoffen werden. Diese Krankenhausatmosphäre produziert klinisch toten Jazz. „Serious Fun“ unter Vollnarkose.
Also fährt man rüber ins Quartier Latin, zum Total Music Meeting. Hier ist die Welt noch in Ordnung, Willem Breuker und Han Bennink beschimpfen das Publikum. Bennink hat einen Schlagzeugstick in die erste Reihe gepfeffert, den er zurückfordert: „Wenn alle lachen, können wir nicht auftreten.“ Er zieht eine Handvoll Sticks aus der Tasche, wirft sie sich über den Kopf, rast trommelnd auf der Bühnenkante hin und her, setzt sich auf den Holzboden und schreibt seinen Namen in Lautschrift darauf. Saxophonist Breuker improvisiert währenddessen das Hintergrundinferno. Hier hat man für Momente das Gefühl, daß Jazz wirklich Spaß für alle sein kann, ohne intellektuellen Ballast, der bei der geringsten Abweichung vom Schema sofort dazwischenruft: „Das ist doch kein Jazz.“
Die Zwischen- und Buhruf-Fraktion kommt dann am gleichen Abend beim Jazz-Fest im Delphi auf seine Kosten. Wladimir Estragon, die Gruppe um den Saxophonisten Alfred 23 Harth, mixt gesamplete Radio- und Musikfetzen mit martialischem Baustellenlärm von F.M.Einheit, alias Mufti, alias Einstürzende Neubauten. Phil Minton schreibt, kreischt, brüllt, und Muta Theresa pianisiert. Aber die Provokation wird schnell zur Attitüde, Muftis Stein- und Blechzerstrümmerung wirbelt viel Staub auf, doch die Zerstörung ist nicht konsequent genug, etwas radikal anderes zu schaffen. Ist vielleicht auch etwas viel verlangt, die musikalische Revolution an einem Abend durchzupeitschen.
Deshalb ist das Jazz-Fest auf fünf Tage angelegt. Am dritten Tag schleppt man sich wieder in den architektonischen Kulturbunker Philharmonie. Ethno-Jazz steht auf dem Programm. Jon Hassel, der seine Musik gern mit dem Attribut „Fourth World Music“ beschreibt, hat eine komplette Tanz- und Trommelgruppe aus Afrika importiert. Hassels elektronisch verfremdete Trompete verträgt sich nicht mit den getrommelten Rhythmen, ihre Künstlichkeit kollidiert mit den afrikanischen Tänzen, wirkt nicht ergänzend, sondern aufgesetzt.
Wie man die strikte Organisation in der Philharmonie ordentlich durcheinander wirbeln kann, demonstriert bei dieser Gelegenheit ein Zuschauer. Er klettert von hinten auf die Bühne, greift sich eine Trommel und spielt munter mit, was die Gruppe konsterniert lachen läßt. Bis ein Ordner den Session-Gast hinter die Bühne schiebt. Hier räumt er zunächst das „Backstage„-Buffet ab, um unerkannt zu verschwinden. Dann zeigt jemand mit den Worten „da steht er“ auf den Kollegen Heidkamp, der sofort von drei Ordnern gepackt und abgeführt wird. Auch bei Konzerten muß die Pressefreiheit mitunter zurückstehen.
Andreas Becker
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen