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TOTE LEBEN LÄNGER

■ Iggy Pop am 4.November im Tempodrom

Die Legende

„The Stooges“ (Strohpuppen) schlossen sich 1968 in Michigan aus Langeweile und unerfüllter Teenagerlust zur Rock'n'Roll -Clique zusammen. Bei ihren Skandalkonzerten stellte sich Iggy bis zu zehn Minuten an die Bühnenrampe und starrte das Publikum feindselig an. Wenn die Band dann endlich ihre Trivialakkorde anschlug, brüllte und knurrte Iggy Selbstquälerisches („ich bin der letzte Dreck“), schlug sich dabei mit einer splitternden Flasche auf die Brust ... und taumelte blutend von der Bühne, während die gelegentlich in Naziuniform gekleideten Musiker ihre Instrumente zum Rückkopplungsgeheul an die Verstärker lehnten. Er beschimpfte das Publikum, ließ sich von der Bühne in die kreischenden Zuschauermassen fallen und erbrach sich oft, während er seinen Showstopper heulte: „Ihr kotzt mich an.“ (Rocklexikon) LPs, „Stooges“ (1969) oder „Funhouse“ (1970), unter John Cale eingespielt, machten ihn zum vaterhassenden Urvater des Punkrocks und zeigten, acht Jahre vor seinem Ende (Amerikatournee der Sex Pistols) die logische Konsequenz oder die Wahrheit des Punkrocks: Sexkörperfeindschaft & Selbstmord.

Geschichte

„Rock beginnt mit kollektiven Identitätskrisen in den fünfziger Jahren und kommt zu sich in dem Moment, in dem die Identitätskrise nicht mehr als mißlungenes Erwachsenwerden, sondern als Lebensform verstanden wird...“

„Selbstbehauptung mit dem Anspruch auf Selbstverwirklichung ist dieser Rock'n'Roll als Beat und Lärm“ (Thiessen) und als Negation von Selbstverwirklichung. Iggy „übersetzt die gesellschaftliche Bedrohung in eine persönliche ('Give me danger, little stranger“ gleich Masosituation, aber das Bedrohende ist selber bedroht: „I feel your disease‘).“

Einer bleibt liegen (keiner der alten Mitstreiter ist seit '77 noch irgendwo dabei. Iggy hat alle geopfert), einer kommt raus (Drogenentzug) und verbindet sich erst 1973, dann '77ff. mit einem anderen Wiederauferstandenen: David Bowie, gestorben 3.6. 73 - die Leiche stinkt.

4 Jahre war der Iggy krank, jetzt fixt er wieder. Gott sei Dank.

1. Tod 1973 („Raw Power“). Mit Bowie-Musikern taucht er grinsend '77 wieder auf: „Lust for Life“ mit der Fernfahrerhymne „Passenger“ - diverse Fanzines drucken wegen der zu sauberen Pop-Platte, auf der sich eine wunderschöne Selbstmordballade befindet („Turn blue“), Todesanzeigen.

2. Tod 1982. Pops großartigste LP erscheint, die einzige Platte der Popgeschichte, auf der sich jemand braungebrannt eingesteht, tot zu sein, „Zombie Birdhouse“, Afrorhythmen und gespenstisch jaulender Punkrock. Als Reagan-Sympathisant und Musiker für die 84er Spiele in Los Angeles kommt Iggy kurz darauf ins Gerede. „Blah, Blah, Blah„; das war 1986. Inzwischen ernährt sich Bowie auf Live-Konzerten von Iggys Kadaver.

Das Konzert

Und deshalb der Nachruf.

„Recht eigentlich betet der Konsument das Geld (33, d. Verf.) an, das er selber für die Karte zum Konzert ausgegeben hat.“ (Adorno) Wie auch sonst bei Beerdigungen üblich wankt und wogt das Publikum - zwischen Bartträgern im Bundeswehrparka und minderjährigen Jungs, die ihre Freundin mit wippendem Pferdeschwanz mitgebracht haben - lange vor dem Konzert schon in überschäumender Freude über das eigene Überleben. „Wenn die erstmal loslegen...“ keucht eine Rothaarige neben mir und meint nicht die Musik, sondern die Menge. Zum letzten Mal, das ist klar. „I've done it again / one time in ten / I manage it“ (Sylvia Plath). Permanent übersteuert, immer noch nicht laut genug, flüstert Iggy Altes („Penetration“), brüllt Neues. Ein Kampf zwischen Band - Heavy Metal Hippies, die wie alle Heavy Metal Hippies zu gesund leben, auf ihren Instrumenten aber alberne „danger„ -Schilder kleben haben - und einem graufleischigen Iggy, dem sie das Blut aussaugen und dazu bringen, zumindest die erste Hälfte seines Konzerts, seine Songs zu verhöhnen („1969“). Am Ende gewinnt Iggy, der eine selbstmörderische Authentizität entfaltet (die Vietnamnummer „Search & Destroy“ oder „1970“), die nur und ausschließlich, selbst in der Menge, gestoßen, geschlagen, zurückgeschlagen und hingefallen und wieder aufgehoben, zwischen weichen Frauenhintern und eckigen Männerschultern, an seinen Tod denken läßt. Weil er 41 ist, man das dann nicht mehr darf und eigentlich auch nicht mehr kann, Nick Cave und Blixa Bargeld gegen ihn wie lebensfrohe Makrobiotiker wirken und er sich nur noch spastisch hechelnd sinnlos hampelnd vergewissert, daß er einen Körper hat, das Mikro ganz in seine Hose steckt, und es gleich wieder rausnimmt, weil das sinnlos ist. Hechelnd immer noch, aber was ist das für eine Hechelei, ohne Sex, daß kein Sadist mehr seinen Schwanz in diesen krankhaft zuckenden Spinnenkörper hineinstecken will. „I wanna be your dog“. Rot und violett brennen die Scheinwerfer auf totes Fleisch. Er leckt sich die Lippen. Die Hälfte des Konzerts ist er nicht da; er wird von einer Scheißband gefickt, die seinen Tod ästhetisieren will. „I am the wild one“ - Hohn, Leichenfledderer - am Ende, nach einem verdammt langen Konzert, gewinnt er: „I can't go back“, was eben heißt, daß es zu Ende ist, daß das seine Kumpels vielleicht endlich kapiert haben - „es ist schwer geworden, noch jemand zu sein - und auch nur das verbindlich zu sagen“, und daß er das, eine Implosion, „no fun“, zehn Jahre davor, zehn Jahre danach, klargemacht hat. „Das Schneidende, das zum Analytischen gehört.“

(Zitate: Thiessen, „It's only Rock'n'Roll but I like it“, Medusa '81)

Detlef Kuhlbrodt

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