: Die Geschlechterschere und der Präsident
Frauen spielen im US-Wahlkampf das Zünglein an der Waage / Bis lang bevorzugten sie Demokraten wegen klarer Haltung zu Abtreibung und Gleichberechtigung / In den letzten Wochen fand jedoch ein Stimmungsumschwung für George Bush statt ■ Von Ursel Sieber
SIE hat die Amerikaner ziemlich durcheinander gebracht: Die Wählerin, die nicht nur über ihren eigenen Wahlzettel verfügt, sondern ihre eigenen Wege geht. SIE bevorzugt nämlich die Demokraten, während ER eher auf die Republikaner steht. Eine Erscheinung, die die Meinungsforscher schlicht das „gender gap“ (Geschlechterschere) getauft haben.
Auch George Bush besitzt bei IHR schlechtere Karten als bei IHM, während Dukakis bei IHR ein sehr gutes Image hat. Hatte, müßte man wohl besser sagen. Denn es gehört zu den großen Überraschungen in diesem Wahljahr, daß der Präsidentschaftskandidat der Demokraten seinen enormen Vorsprung unter den Frauen eingebüßt hat.
Daß Frauen an den Wahlurnen geschlechtsspezifsche Aktzente sezten, haben die Wahlforscher zum erstenmal vor acht Jahren endeckt. Damals haben mehr Männer als Frauen Ronald Reagan zum Präsidenten gekürt. Die Frauen wählten eher demokratisch, gerade weil sich Reagan so klar gegen die legalisierte Abtreibung und gegen den Verfassungszusatz zur Gleichberechtigung gewandt hatte. Ein Verhalten, das vollends zum Politikum wurde, als feststand, daß die Demokraten im Senat vor zwei Jahren nur mit den Stimmen der Frauen die Mehrheit bekamen. Also haben die Frauen in jeder Präsidentschaftswahl, die in einem knappen Kopf-an-Kopf -Rennen entschieden wird, die Macht, das Blatt demokratisch zu wenden. Und gerade in diesem Jahr sah es sehr lange danach aus, als ob das „gender gap“ für George Bush zum großen Stolperstein werden könnte.
Zusätzliche Brisanz erhält das Wahlverhalten von Frauen dadurch, daß am morgigen Dienstag zwischen acht und zehn Millionen mehr Frauen als Männer zur Wahl gehen werden. Die höhere Lebenserwartung hat dazu geführt, daß es in den USA einen Frauenüberhang gibt (1985 gab es 122 Millionen Frauen und 116 Millionen Männer). Aber hinzu kommt, daß Frauen politisch aktiver sind, und sich einfach häufiger für die Wahl einschreiben. Das ist Frauengruppen zu verdanken, die sich vor vier Jahren zu einer Wahlinitiative („womens vote project“) zusammengeschlossen haben und gezielt Frauen registrieren. Keine „Vize“ auf dem Ticket
Frauen waren in diesen Wahljahr also ein heiß umkämpfter Machtfaktor. Keine Meinungsumfrage, die etwas auf sich hält, hat es unterlassen, der Meinung der Wählerinnen nachzuspüren. Jeder Stimmungswandel wurde minutiös erforscht, natürlich nicht nur mit dem Ziel, den Wahlausgang vorauszusagen, sondern ihn auch zu beeinflussen. Die Frage, was George Bush tun müsse, um sein Image bei den Frauen zu verbesseren, füllte bis in den Herbst hinein die Zeitungsspalten, und die Frauengruppen machten sich darüber lustig, daß Bush alle Frauen an ihren ersten (geschiedenen) Ehemann erinnere.
Während beide Kandidaten bei Männern ungefähr gleich abschnitten, haben Frauen Dukakis zu 57% und Bush nur zu 33% unterstützt. So dramatisch fiel z.B. das Ergebnis in einer Umfrage aus, die von der 'Washington Post‘ und der Fernsehanstalt ABC im Juli durchgeführt worden ist.
Zunächst fällt auf, daß bei beiden Kandidaten trotz „gender gap“ keine Frau an prominenter Stelle auf dem Ticket steht. George Bush wählte keine Vizepräsidentin, wie von den Demokraten manchmal befürchtet worden war. Er machte den Schönling Dan Quayle zu seinem Vize, dessen Alter der Jugend, und dessen Gesicht den Frauen ihre Stimme entlocken sollte. Gleichzeitig ließ sich Bush von einer Frau, Peggy Noonan, die Reden schreiben. Auf den fürsorglichen Ton, den Bush etwa auf dem republikanischen Parteitag anschlug, verweist Ethel Klein, Politologin an der Columbia Universität von New York. Dies habe vielleicht dazu beigetragen, daß Bush im Laufe des Wahlkampfes sein Image bei den Wählerinnen verbessern konnte.
Für die Demokraten war eine Frau als Vize in diesem Wahljahr ebenfalls kein Thema. Diese Konsequenz zogen die Demokraten aus der Wahlschlappe von 1984. Die demokratische Vizekandidatin Geraldine Ferraro hatte kaum mehr Frauen auf die Seite der Demokraten ziehen können. Rückzug unter Tränen
Ursprünglich hatte die Kongreßabgeordnete Pat Schröder den Ehrgeiz entwickelt, Präsidentschafts- Kandidatin der Demokraten zu werden. Doch sie warf schnell das Handtuch, gleich zu Beginn der Vorwahlen im Sommer letzten Jahres. Sie hatte es nicht geschafft, genügend Geld für ihren Wahlkampf einzutreiben. Und daß sich eine Frau durchsetzen könnte, kam ihr offenbar selbst sehr aussichtlos vor. „Ich bin bis heute nicht davon überzeugt, daß die Wähler in Amerika soweit sind, eine Frau zur Präsidentin zu wählen“, sagte sie unter Tränen, als sie ihren Rückzug dem Fernsehpublikum mitteilte. Da weinte sogar die Männerwelt ein bißchen mit, die Frage, ob auch eine Frau Präsidentin der USA werden könnte, war vom Tisch.
Es gibt zwar eine Kandidatin, Leonora Fulani, eine schwarze Psychologin aus New York. Sie kandidiert für die sozialistische „National Alliance Partei“, und steht inzwischen in allen 50 Staaten auf den Wahlzetteln. Ihr Ziel ist, Stimmen von Schwarzen und von Frauen zu sammeln, um den Dukakis und den Demokraten eine Lektion zu erteilen. In der Öffentlichkeit wird sie nicht wahrgenommen, die privaten Fernsehanstalten haben nicht einmal daran gedacht Fulani zu einer Debatte einzuladen. Auch die „National Organisation of Women“ (NOW), die größte Frauenorganisation in den USA unterstützt sie nicht. Diese Kandidatur sei sekterierisch, und die Mehrzahl der Frauen hätte andere Interessen, sagt Kelli Conlin, eine stellvertretende Vorsitzende von NOW.
Bleibt anzumerken, was Ellie Smeal, die frühere Präsidentin der NOW, heraustellt: Noch niemals saßen so viele Frauen in Machtpostionen wie in der Wahlkampfgruppe von Dukakis. Und beim letzten entscheidenden Fernsehduell zwischen den beiden Kandidaten, haben die Fragen ganz selbstverständlich drei Journalistinnen gestellt. Gleichzeitig ist die Benachteiligung von Frauen bei den Kongreßwahlen kein öffentliches Thema: Im letzten Kongreß waren Frauen im Senat mit 2%; im Repräsentantenhaus mit 4,7% vertreten.
Die NOW-Frauen mobilisierten ihre Mitgliederinnen für Dukakis. Dukakis wird hoch angerechnet, daß er in der Abtreibungsfrage ganz klar für das Selbstbestimmungsrecht der Frauen eingetreten ist - so klar, wie es in der BRD kaum einem sozialdemokratischen Politiker über die Lippen kommen würde. In beiden Fernsehdebatten mit seinem Gegenspieler sagte er wörtlich: „Ich finde Abtreibungen nicht gut. Aber die Frage ist, wer die Entscheidung trifft. Und ich denke, dies muß allein der Frau überlassen werden.“ Abtreibung als
Wahlkampfthema
Die Abtreibungsfrage ist in den USA emotional noch stärker überfrachtet als hierzulande. Dafür haben nicht zuletzt fundamentalistisch-religiöse Lebenschützer gesorgt, die dazu übergegangen sind, vor den Abtreibungskliniken „zivilen Ungehorsam“ zu praktizieren. Sie werfen sich den Frauen in den Weg, die in die Klinik gehen wollen; leisten passiven Widerstand, wenn sie von den Polizisten weggetragen werden und weigern sich in den Gefängnissen, Namen und Adresse anzugeben. Darum sind die Mitglieder der Lebensschützer -Bewegung oft wochenlang in Haft. Viele Frauengruppen befürchten, daß unter Bush das Rad der Geschichte tatsächlich zurückgedreht werden könnte: Der nächste Präsident wird nämlich einige neue Bundesrichter nominieren, und damit könnte im Obersten Gerichtshof eine Mehrheit gegen die legalisierte Abtreibung entstehen. Seit 1973 sind in den USA Abtreibungen bis zum 6. Schwangerschaftsmonat legal. George Bush hat in diesem Wahlkampf die Auffassung vertreten, daß eine Abtreibung nur nach einer Vergewaltigung, im Falle von Inzest oder bei Lebensgefahr der Frau erlaubt sein dürfte. In der ersten Fernsehdebatte hat ihn eine Journalistin gefragt, ob eine Frau andernfalls künftig ins Gefängnis müsse. Bush gab zunächst nur zur Antwort, daß er darüber noch nicht genügend nachgedacht habe. Einen Tag später präzisierte sein Wahlkampfleiter seine Haltung: Bush wolle nicht die Frauen bestrafen, doch die Ärzte, die Abtreibungen durchführten, müssten strafrechtlich belangt werden.
Die Demokraten haben dennoch die Abtreibungsfrage nicht zu ihrem Thema gemacht. Dukakis hat sehr klar geantwortet, wenn er gefragt wurde, aber er brachte das Thema nicht von sich aus aufs Tapet. Auch die Lohnungleichheit und das „Equal Rights Amendment“, der Verfassungszusatz, der den Frauen gleiche Rechte garantieren soll, haben seine Wahlkampfstrategen nicht nach vorne gerückt. Das hat seinen Grund. Schließlich war die gesamte Strategie darauf ausgerichtet, die sogenannten „Reagan-Demokraten“ zurückzuholen, eine Gruppe vornehmlich weißer Wähler aus den Südstaaten, die die die Person Reagan, aber nicht die Republikaner gewählt haben.
Auffällig war, wie sehr sich auch Dukakis bemühte, über die Sorgen der „Familie“ zu sprechen - oftmals Probleme weißer Mittelstand-Familien, die auf den Verdienst der Frauen angewiesen sind, um den amerikanischen Traum, das eigene Häuschen, überhaupt noch bezahlen zu können. „1984, mit Geraldine Ferraro auf dem Ticket der Demokraten, gehörte das Wort „Frauen“ wenigstens noch zum politischen Vokabular“, bemerkte bissig die Journalistin Barbara Ehrenreich für eine Zeitschrift der „Linken Demokraten“. Und ironisch fügte sie hinzu, sie sei schon halb darauf gefasst, in den öffentlichen Toilletten bald die Aufschrift „Männer“ und „Familien“ zu finden. Umschwung für Bush
Eleanor Smeal von NOW war von Anfang an skeptisch, ob sich die Demokraten der Frauen schon unter allen Umständen sicher sein könnten: Bush könnte es womöglich gelingen, über eine positive Zukunftsvision die Frauen doch zu integrieren, und vergessen machen, daß die Frauen unter den Kürzungen der Reagan-Ära am meisten gelitten haben. Nun sagen die neuesten Umfragen, daß zwar noch immer weniger Frauen als Männer (mit einem Unterschied von 9 Punkten) George Bush ihre Stimme geben werden. Aber Michael Dukakis hat seinen enormen Vorsprung eingebüßt.
Die Frauengruppen in den USA sind selbst etwas ratlos über diese Entwicklung. Mim Keeber und Bella Abzug, die ein Untersuchung über die „Geschlechterschere“ veröffentlicht haben, verweisen darauf, daß Dukakis in den letzten Tagen jedoch deutlich andere Akzente gesetzt hat: Er spricht Frauen sehr viel direkter an, und betont plötzlich auch das Thema Abtreibung. Ob sich dies am Wahltag noch einmal niederschlägt, kann niemand sagen.
Aber Dukakis hat sicherlich auch deshalb verloren, weil Bush einen sehr agressiven und schmutzigen Wahlkampf geführt, mit Appellen an den Patriotismus, dem Ruf nach Recht und Ordnung, und mit der Behauptung, Dukakis nehme zuviel Rücksicht auf die Kriminellen: Da mußte ein Vorfall aus dem Strafvollzug von Massachusetts herhalten, dem Bundesstaat, in dem Dukakis regiert: Eine Frau war von einem Gefangenen vergewaltigt worden - einem Schwarzen, der wegen Mord zu lebenslanger Haft verurteilt war, an einem Resozialisierungsprogramm teilnahm, aber von einem Wochenendurlaub nicht zurückgekehrt war.
Bush dominierte alle politischen Themen, und Dukakis reagierte meistens viel zu spät. Mit Sicherheit haben diese Attacken auch Frauen beeindruckt. Vielleicht kann man am Ende nur festhalten, daß die Wählerinnen ein wenig resistenter gewesen sind.
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