: „Wir hörten die Schreie der Gefolterten“
Eine Delegation von niedersächsischen Landtagsabgeordneten und Journalisten ist am Freitag, wie berichtet, von türkischem Militär verhaftet worden. Darunter auch der Grüne Landtagsabgeordnete Hannes Kempmann. ■ I N T E R V I E W
tazWie kam es zu eurer Verhaftung?
Hannes Kempmann: Im Dev-Yol-Prozeß, in dem das Militär 43 Angeklagte nach nunmehr acht Jahren U-Haft mit der Todesstrafe bedroht, begann am Freitag gegen elf Uhr gerade eine Prozeßpause. Da wurde von einen kleinen Teil der hundert Zuschauer - so weit ich das verstanden habe - auf türkisch „Generalamnestie“ und „Freiheit für alle Politischen Gefangenen“ gefordert, zwei kleine Transparente wurden entrollt. Erst wurden daraufhin alle Zuschauer aus dem Gerichtssaal auf den Kasernenhof geführt, dann auf Anweisung eines Militärrichters alle Ausländer unter den Zuschauern dreieinhalb Stunden festgehalten.
Ist diese Festnahme der ausländischen Prozeßbeobachter begründet worden?
Uns gegenüber wurde nie erklärt, ob oder warum wir verhaftet worden sind. Jeweils fünfzehn Personen in einem Kleinbus eigepfercht, hat uns dann die Sicherheitspolizei vom Kasernengelände in die Tiefgarage der Sicherheitsdirektion transportiert. Während der Fahrt sollten wir sogar die Mäntel über den Kopf ziehen.
Haben nicht gerade die Landtagsabgeordneten auf ihren Status hingewiesen und Kontakt zur deutschen Botschaft verlangt?
Natürlich, aber mit Hinweis darauf, daß „alle Telefone kaputt“ seien, ist uns jeder Kontakt nach außen 15 Stunden lang bis zu unserer Freilassung verweigert worden. In der neonbeleuchteten Tiefgarage mußten wir uns dann mit erhobenen Händen Gesicht zur Wand aufstellen. Der Dolmetscher der mit uns verhafteten griechischen Delegation wurde unmittelbar nach unserer Ankunft ohne jeden Anlaß von vier Zivilbullen schwer zusammengeschlagen. Die SPD-Kollegin Alm-Merk, die lautstark gegen diese Mißhandlung protestierte, wurde daraufhin ebenfalls mit Fäusten ins Gesicht geschlagen.
Waren das eher zufällige oder geplante Mißhandlungen?
Ich glaube, wenn Türken in diese Tiefgarage eingeliefert werden, droht ihnen noch schlimmeres. Wir mußten aus anderen Kellerräumen die erschütternden Schreie von Gefolterten hören. Diese Garage ist offenbar für die erste Sonderbehandlung von Festgenommen eingerichtet. Frau Alm -Merk wurde auf einer stinkigen Toillette völlig nackt ausgezogen und durchsucht. Während der ganzen 15 Stunden gab noch nicht einmal etwas zu trinken. Die SPD-Kollegin brach dann später auch zusammen.
Entlassen worden seid ihr dann auf Druck der deutschen Botschaft?
Erst hatten die türkischen Behörden am Freitagabend verkündet, wir würden alle in Haft bleiben. Die Deutsche Botschaft in Ankara wurde durch eine Journalistin informiert, die mit uns zusammen unterwegs war. Ihr wurde sogar untersagt, von der deutschen Botschaft in Ankara aus die Presse in der BRD zu informieren. Erst als immer mehr Journalisten aus der Bundesrepublik anriefen, wurde die Botschaft aktiv. Drei Stunden, nachdem ein Botschaftsangehöriger in der Sicherheitszentrale eingetroffen war, wurden wir dann nachts gegen zwei Uhr wieder entlassen.
Einige der griechischen Prozeßbeobachter, die mit euch verhaftet worden, sind noch nicht entlassen. Gegen sie soll Anklage erhoben werden.
Vier der griechischen Freunde sitzen noch in dem Gefängnis der Sicherheitspolizei. Es darf sie niemand besuchen, auch kein Diplomat oder Anwalt, und ich befürchte für sie Schlimmes. Ich fordere den Bundesaußenminister auf, sich für die sofortige Freilassung der vier griechischen Prozeßbeobachter einzusetzen und zu protestieren: Gegen die Verhaftung und Mißhandlung von Bundesbürgern, von Abgeordneten, die als offizielle Delegation in der Türkei waren, und natürlich gegen Folter von türkischen politischen Gefangenen, die wir hautnah mitbekommen haben.
Das Interview führte Jürgen Voges.
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