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Nicht bereichert-betr.: Kommentar "Wertewandel", taz vom 4.11.88

betr.: Kommentar „Wertewandel“, taz vom 4.11.88

(...) Da haben die grünen Parlamentarier bisher zehn Millionen Mark ihrer Diäten über die Ökofonds an alternative Projekte gegeben. Auch die grünen Bundestagsabgeordneten haben allein seit 1987 etwa 2,3 Millionen Mark an die Ökofonds gezahlt. Nun mag zu Recht kritisiert werden, daß dies 700.000 Mark zu wenig sind. Die Bewertung von Charlotte Wiedemann, die grünen MdBs seien fast nicht mehr von denen der Altparteien zu unterscheiden, ist jedoch grotesk. Die grünen Abgeordneten haben sich unter dem Strich „entreichert“ und nicht bereichert.

Wer Frau Wiedemanns Kommentar liest, bekommt den Eindruck, die Grünen würden inzwischen wie die Altparteien Millionen von Flick & Co. erhalten, und demnächst diesem Konzern zum Dank eine halbe Milliarde Mark an Steuererleichterungen verschaffen. Lauter Barzels und Lambsdorffs bei den Grünen. Im übrigen ist die Bemerkung von Wiedemann absdurd, wer Steuern zahlt, ist „staatstreu“ und wer keine Steuern zahlt, zeige entsprechend eine positive Gesinnung mangelnder „Staatstreue“, was immer das heißen mag. Da werden sich die SteuerhinterzieherInnen in dieser Republik aber geschmeichelt fühlen.

Die taz-Berichterstattung über die Grünen ist übrigens mindestens ebenso schlecht wie der gegenwärtige Zustand der Grünen. Eure JournalistenInnen nehmen die grüne Wirklichkeit äußerst verzerrt wahr, weil sie sich als Sprachrohre der grünen Flügel-Hardliner betätigen! Auf der einen Seite die Fundi-Journalisten Wiedemann und Tolmein, auf der anderen Seite eure Super-Realos Mehr und Hartung. Was diese Art von „Journalismus“ bedeutet, zeigt eure Darstellung der aktuellen Finanzaffäre der Grünen: Verharmlosung durch Frau Wiedemann, die die Sprachregelung der grünen Fundis übernommen hat. Es gehe nur um „Unregelmäßigkeiten“, bei denen die Grünen dem Staat 10.000 Mark an Steuern vorenthalten haben, was eigentlich ein positiver Umstand sei. Herr Hartung rückt dagegen den grünen Bundesvorstand in einer abstrusen Weise in die Nähe der Flickparteien.

Bei dieser Optik fehlt völlig eine den rekonstruierbaren Realitäten angemessene differenzierte Betrachtung. Der grüne Bundesvorstand verdient einerseits Prügel aufgrund von Vorgängen, die entweder untragbare Schlampereien oder den skandalösen Griff in die Parteikasse ausmachen (Beispiel: Für „Reisekosten“ des ehemaligen Bundesvorstandesmitglieds Tost - etwa 10.000 Mark - liegen keine Belege vor). So etwas muß schärfstens kritisiert werden. Andererseits muß der Bundesvorstand in Schutz genommen werden, wenn er aus Motiven der internationalen Solidarität den französischen Grünen eine Bürgschaft von mehreren 100.000 Mark zur Verfügung gestellt hat und dieses Geld flöten gegangen ist. (...)

Gerhard Matern, Köln

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