: Grenzziehung-betr.: taz-intern, Debattenseite taz vom 4./5.11.88
betr.: taz-intern, Seite 5, Debattenseite 16, taz vom 4./5.11.88
Die Grenzziehung gegenüber ahistorischen faschistischen, rassistischen und sexistischen Aussagen und Bildern war überfällig. Ich hoffe, daß ich mich zukünftig wieder als Freundin des taz-Projektes bezeichnen kann, ohne rot zu werden.
Renate Wußing, Braunschweig
Herzlichen Glückwunsch der „einzigen linken Tageszeitung“ zu ihrem nach zehnjährigem Bestehen getroffenen „Minimalkonsens“, künftig auf alle Äußerungen von Rassismus und Antisemitismus verzichten zu wollen. Wie die Diskussion um die Sprachschöpfungen etwa eines Wiglaf Droste zeigen, wird die Propagierung von Sexismus dagegen weiterhin bei euch gute Chancen haben. Dessen Texte sind der taz offensichtlich immer noch so weit tragbar, wie er sich darauf beschränkt, „nur“ eine Frau bzw. Frauen zu verhöhnen: kritisch wird es erst, wenn seine Ausdrucksweise gleichzeitig auch die Opfer faschistisher Politik mitbeleidigt („Euternasie“).
Ich frage mich, wie lange es noch dauern wird, bis ihr euch zu einer klaren Haltung gegen Sexismus durchringen könnt, „und zwar ohne daß über die Begründung noch zu reden wäre“.
Anne Friedrich, Hamburg 50
1. 16 zu elf, das ist nicht gerade eine überwältigende Mehrheit. Umso seltsamer ist es, daß auf der Kapielski -Sonderseite vom 4.11. nur diese fünf Stimmen Mehrheit ihre Sicht und Meinung veröffentlichen konnte, während eine ausführliche Stellungnahme der Minderheit, und erst recht der betroffenen RedakteurInnen selbst, bislang fehlt. Es wäre fair, dies gleichermaßen in Form einer Sonderseite nachzuholen, und nicht etwa bloß auf der Debatten- oder gar der Leserbrief-Seite. Audiatur (quam primum) et altera pars, dieser alte Rechtsgrundsatz gilt doch wohl auch für das Öffentlichmachen von Redaktionskonflikten.
2. Daß ausgerechnet Arno Widmann jetzt als Chefankläger fungierte, der gerade jüngst den ungeheuerlichen Satz zu Papier gebracht hat, daß es keinen Grund gäbe, dem „Regime der Sowjetunion“ mit Freundlichkeit zu begegnen, entbehrt nicht einer gewissen Absurdität. (...)
3. Thomas Kapielskis Ausdruck „gaskammervoll“ ist schändlich und dumm. Und doch ist solche mit dem Entsetzlichen kokettierende Rotzigkeit kaum schlimmer als jene furchtbaren Manipulationsbegriffe - wie etwa „US-Militärhilfe“ für die US-Gelder zur Tötugng Zehntausender Zentralamerikaner -, die in der taz leider fast tagtäglich nachgeplappert werden, ohne daß es deshalb zu Redaktionsversammlungen oder gar Entlassungsanträgen käme.
Selbst der vieldiskutierte, rassistische Begriff des „Asylanten“ wird in einer taz-Überschrift verwandt: nicht etwa als (dümmliche) Polemik, Ironie oder Provokation, sondern ganz routinemäßig benutzt man das Wörterbuch des Unmenschen, des germanisierungswütigen, aussiedlerversessenen Ausländerfeindes. Und von wegen Faschismus-Verharmlosung: wenn die Anti-Ceaucescu-Kampagne ihr Haßobjekt mit dem deutschen Wort „Führer“ bedenkt, dann stört sich kein Hartung an dieser so verheerenden Melange von Nazi-Verharmlosung und Kommunismus-Verteufelung.
4. Wenn es zu einem solch gravierenden Schritt wie Entlassungsanträgen kommt, sollte die Leserschaft auch, wenigstens minimal, über Arbeit und Persönlichkeit der betroffenen RedakteurInnen informiert werden, nicht nur über den unmittelbaren, möglicherweise vordergründigen Entlassungsgrund: Thierry Chervels Debatten-Beitrag vom 5.11. spricht ja deutich von „Leuten, die immer schon gegen sie waren und jetzt die Gelegenheit ergriffen“... Aber nicht einmal die Namen der Redakteurinnen wurden bislang genannt, warum?
Auch über Thomas Kapielski und seine Arbeit in beziehungsweise für die taz erfährt man absolut nichts. Das alles ist eine seltsame Nebulösität, die für mich etwas Geheimprozeßartiges hat.
5. Der ganze Vorfall findet vor dem Hintergrund statt, daß die LeserInnen der taz so gut wie nichts über die Redaktion ihrer Zeitung wissen: drei, vier Namen stehen seit ewigen Zeiten im Blatt (was aber auch nur die Uralt-Leser wissen), ansonsten tauchen neue Namen ebenso kommentarlos auf, wie sie dann wieder verschwinden. Daß es „betreuende“ Redakteure gibt, erfahre ich nunmehr dank T.Chervel - warum stehen deren Namen samt „Betreuungsbereich“ nicht im Impressum?
Und was hält euch davon ab, einen neuen freien Mitarbeiter, eine neue Redakteurin kurz vorzustellen?
Susanne, Karlsruhe
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