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Berliner Luftkreuz hebt ab

„Euroberlin France“ durfte gestern in den Berlin-Flugverkehr starten / Alliierte streiten weiter über den Berliner Winterflugplan / Ökonomische Interessen bleiben im Hintergrund / Mehr Flüge, weniger Auslastung  ■  Von Hans Martin Tillack

Berlin (taz) - Die gesamte Chefetage von „Euroberlin France“ hob gestern vormittag am West-Berliner Flughafen Tegel ab zum einen mit der Frankfurt-Maschine, zum zweiten vor Freude. Um 9 Uhr 35 durfte gestern der erste Flieger der neuen Gesellschaft, eine Boeing 737-300, nach Frankfurt starten. Beinahe in letzter Minute hatten die für die Genehmigung zuständigen drei west-alliierten Luftfahrtattaches in Bonn am Sonntag abend ihr Ja-Wort gegeben, auch die US-Gesandte stimmte „Euroberlin“ zu.

Ein Streitpunkt zwischen den Luftfahrtattaches ist damit geklärt, der Winterflugplan bleibt dennoch umstritten. Am 30.Oktober sollte er eigentlich in Kraft treten. Wann er nun endgültig genehmigt wird, würden wohl auch die Attaches selbst gerne wissen. Sie verhandeln im Auftrag ihrer Regierungen aus Washington, London und Paris, und das bereits seit Wochen.

Hintergrund ist das von US-Präsident Reagan angestoßene „Luftkreuz Berlin“. Unter diesem Etikett soll der Proporzflugverkehr im Sommer liberalisiert und für neue Gesellschaften geöffnet werden. Erste Folge: Die eigentlich zum Konsens verpflichteten Attaches tragen den ökonomischen Wettbewerb der nationalen Gesellschaften unter sich selber aus. Die Amerikaner versuchen zudem, über den Berlin -Flugverkehr ihre Gesellschaften in den künftigen europäischen Binnenmarkt einzuschmuggeln.

Die „Euroberlin France“ mußte die USA als Neuling fürchten, denn die Gemeinschaftsgründung von Air France (51 Prozent) und Lufthansa (49 Prozent) gilt ökonomisch als ziemlich potent. Die US-Gesellschaften TWA und PanAm halten Beobachter für weitaus weniger sturmfest. In einem Rahmenabkommen hatten die Attaches im Sommer „Euroberlin“ zwar zugelassen, doch damals standen noch die ökonomisch ebenfalls starken US-American Airlines auf der Matte. Sie zogen sich jedoch vorläufig aus dem Berlin-Verkehr zurück.

Ein erneutes Engagement der American Airlines scheint nicht ausgeschlossen, denn die US-Forderung nach einem „offenen Himmel“ über Berlin ist noch nicht vom Tisch und blockiert weiterhin den Winterflugplan. Nachdem die US -Luftfahrtgesandte am Sonntag bei „Euroberlin“ Zugeständnisse gemacht hat, könnte sie jetzt im Gegenzug Gleiches von ihren französischen und britischen Kollegen erwarten.

„Offener Himmel“ hieße: Wer zu welchen Preisen fliegt, entscheidet alleine der Markt. Für einen PanAm-Sprecher bedeutet das: „Alle fliegen verspätet nach Frankfurt.“ Schon jetzt sind in Berlin die negativen Folgen der Liberalisierung zu spüren. Immer mehr Maschinen starten in Tegel, sind jedoch zunehmend schlechter ausgelastet. PanAm hat einige unrentable Strecken bereits gestrichen, außer bei „Euroberlin“ fliegen alte und laute Maschinen. Gerade die Gesellschaft TWA, die die niedrigsten Tarife anbieten wollte, ist bei Flughafen-Anwohnern für ihre alten Kisten verschrien. Das „Luftkreuz“ trägt aber auch den Alliierten Schaden ein. In den letzten Wochen hatten sie vor allem von der Berliner Regierungspartei CDU ungewohnt scharfe Kritik einstecken müssen. Selbst von „Besatzungsallüren“ war im Senat die Rede. Ausgerechnet vierzig Jahre nach der „Luftbrücke“ sorgten die West-Alliierten für Zweifel an dem Prädikat „Schutzmächte“.

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