: STUDIOREGISSEUR „PAR EXCELLENCE“
■ Das „Arsenal“ zeigt eine umfangreiche Retrospektive der Filme von Michael Curtiz
Wohl kaum ein Regisseur ist hinter seinen Filmen so wenig sichtbar geblieben wie der gebürtige Ungar Michael Curtiz. „Directed by Michael Curtiz“: Dieses Gütesiegel tragen Filme wie „Casablanca“, „The mystery of the wax museum“, „Angels with dirty faces“ oder „The adventures of Robin Hood„; berühmte Filme, die Höhepunkte in der Geschichte Hollywoods markieren, Filme, deren Mythos den Blick auf ihren Regisseur verstellt. Mehr als 160 Filme hat Curtiz im Laufe seiner 50jährigen Karriere inszeniert. Allein diese immense Quantität entzieht sein Werk dem Zugriff der „politique des auteurs“ und ihrem Versuch, den Filmen wiederkehrende Motive oder einen unverwechselbaren Stil nachzuweisen. Curtiz ist ein „auteur“, sein Name bleibt vielmehr verbunden mit der fabrikmäßigen Produktion von Filmen im Studiosystem Hollywoods. In ihm gelangte seine Arbeit während der dreißiger und vierziger Jahre zur Blüte. Curtiz‘ Filme zeugen von dem hohen Qualitätsstandard, den das amerikanische Kino dieser Epoche infolge der wirtschaftlich motivierten Zentralisation seiner Kräfte erreichte. Anläßlich des 100. Geburtstages von Curtiz zeigt das „Arsenal“ bis einschließlichg Januar eine umfangreiche, von Frank Arnold organisierte Retrospektive dieses perfektesten, aber auch unterschätztesten aller Studioregisseure.
Die europäische Karriere
Michael Curtiz, der am 24. Dezember 1888 als Mihaly Kertesz in Budapest geboren wird, arbeitet nach einer künstlerischen Ausbildung zunächst als Regisseur am Theater, bis ihm das schnell erlangte lokale Renommee 1912 den Weg in die gerade entstehende ungarische Filmproduktion eröffnet. Bis 1919 dreht Kertesz in Ungarn jährlich mindestens sechs Filme: Schnelligkeit und Produktivität sind Fähigkeiten, die der Regisseur nicht erst in Hollywood erlernt.
Als Anfang 1919 mit Bela Kun in Ungarn die Kommunisten die Macht übernehmen und die nationale Filmindustrie verstaatlicht wird, kehrt Kertesz seinem Vaterland den Rücken, um sich in Wien niederzulassen. Dort kommt er in den Studios des adeligen Produzenten Kolowrat unter, für dessen Gesellschaft „Sascha Film“ er zwischen 1919 und 1926 insgesamt 21 Filme inszeniert, darunter mit dem zweiteiligen Monumentalfilm „Sodom und Gomorrha“ (1922) die bis zu diesem Zeitpunkt aufwendigste österreichische Produktion. Unter Kolowrat habe er die Grundgesetze des Kinos erlernt, äußerte Kertesz später über seine Arbeit bei „Sascha Film“.
In Wien trifft er wieder auf seinen Landsmann Alexander Korda, mit dem er bereits in Budapest zusammengearbeitet hatte. 1924 produziert Korda den von Kertesz inszenierten Film „Die Sklavenkönigin“. Dieser Historienfilm mit spektakulären Massenszenen wird zum Sprungbrett zweier internationaler Karrieren: Sein Erfolg läßt Korda in England als Produzent Fuß fassen, während er für Kertesz das Entreebillet nach Hollywood bedeutete. „Die Sklavenkönigin“ hatte die Aufmerksamkeit Jack Warners erregt, der in dem Ungarn einen potentiellen Rivalen Cecil B. de Milles auf dem Gebiet des historischen Monumentalfilms sah. Kertesz, aus dem nun Curtiz wird, folgt der Offerte Warners und nimmt 1926 den Weg in ein zweites Exil.
Warner Bros.
Unter allen Filmstudios der klassischen Ära Hollywoods entspricht Warner Bros. am genauesten der Vorstellung einer „Fabrik“, die Film als Ware begreift und herstellt. Und Jack Warner verkörpert wie kein zweiter das Bild des skrupellosen und allmächtigen Filmmoguls, der seine Firma mit eiserner Faust patriarchalisch regiert (auch wenn es sein älterer Bruder Harry war, der als „graue Eminenz“ im Hintergrund die Fäden in der Hand hielt).
Von den großen Studios nannte Warner Bros. die wenigsten Stars sein eigen und operierte mit dem geringsten Budget. Aus diesem Grunde verzichtete das Studio auf große und aufwendige Produktionen. Warner Bros. verfolgte vielmehr die Strategie, eine große Anzahl von Filmen zu produzieren, von denen möglichst jeder einen bescheidenen Profit abwerfen sollte. Es galt, die Produktion möglichst effektiv zu gestalten und die Kosten gering zu halten. Diese Politik brachte Warner Bros. den Ruf eines „sparsamen“ Studios ein. Akteure und Techniker wurden mit Sieben-Jahres-Verträgen langfristig gebunden und hatten sich während dieser Zeit den Direktiven der Studiobosse meist bedingungslos zu fügen.
Der von einem immensen Arbeitshunger besessene Curtiz integrierte sich innerhalb kürzester Zeit in dieses rigide System. Voller Geringschätzung jenen gegenüber, die arbeiten, um zu leben, und nicht wie er leben, um zu arbeiten, wurde Curtiz dank dieser Einstellung in den Augen der Brüder Warner zum geschätzten Mitarbeiter.
Schnelligkeit und technische Versiertheit machten ihn bald zu einem der gefragtesten Regisseure des Studios, der auch ohne Mühe den Übergang vom Stumm- zum Tonfilm meisterte. Dabei war seine Stellung, wie die aller Regisseure, innerhalb des Studiosystems keineswegs eine privilegierte. Sein Ruf war der eines kompetenten Handwerkers, der innerhalb der vorgesehenen Zeit und des abgesteckten Budgetrahmens einen Film fertigstellte, der mit großer Sicherheit an der Kinokasse Profit machte. Curtiz blieb trotz seines Erfolges ein Angestellter der Firma, die sich seiner Fähigkeiten ebenso bediente wie der anderer Departments. „Just make pictures, make money“, lautete die Devise.
Genrearbeiten
Das Bemühen um qualitativ gute, wenig aufwendige und profitable Filme veranlaßte Warner Bros. zu einer Reihe von Genreproduktionen, bei denen die Kosten durch die Wiederverwendung von Dekorationen und „stock shots“ gering gehalten werden konnten. Ruhm erlangte das Studio dabei zu Beginn der dreißiger Jahre durch seinen Zyklus von Gangsterfilmen. Curtiz steuerte zu diesem Genre 1938 mit „Angels with dirty faces“ ein späteres Meisterwerk bei. Erzählt wird die Geschichte zweier Jugendfreunde, Rocky und Jerry, von denen der eine eine Gangsterlaufbahn einschlägt, während der andere Priester wird. Rocky (James Cagney) wird zum Tode verurteilt, erweist am Ende seinem Freund einen letzten Dienst: innerlich ungebrochen, täuscht er auf dem elektrischen Stuhl Todesfurcht vor, um seinen eigenen Mythos und damit den Glauben einer Jugendbande an ihr Idol zu zerstören. Die Selbstaufopferung für ein moralisches Prinzip: dieser Topos findet sich in vielen von Curtiz inszenierten Filmen. Ihre Helden geben dem Schicksal eine heroische, oftmals aber auch selbstvernichtende Antwort.
„Angels with dirty faces“ bedient sich bei der Darstellung der kriminellen Karriere eines visuellen Mittels, dessen gekonnter Einsatz bei vielen Regiearbeiten von Curtiz auffällt: die Verwendung von Zeitungsschlagzeilen und das Einfrieren des Filmbildes zu einer Fotografie. Die funktionale Verwendung dieses Stummfilmmittels senkte einerseits die Produktionskosten, andererseits rhythmisierte es den Film und verlieh ihm Tempo.
Zwischen 1931 und 1936 inszenierte Curtiz eine kleine Reihe von Horrorfilmen (ansonsten keine Domäne der Warner Bros.), von denen „The mystery of the wax museum“, 1933 in zweifarbiger Technicolor gedreht, zum Klassiker wurde. Ebenso wie seine übrigen Arbeiten in diesem Genre zeugt der Film deutlich von dem expressionistischen Erbe des Mitteleuropäers Curtiz: niedrige Kamerastandpunkte, verkantete Einstellungen, der virtuose Einsatz von Licht und Schatteneffekten, die Einbindung der Personen in den Decor und die Inszenierung der lebenden und wächsernen Figuren in den Raum schaffen eine beklemmende Atmosphäre von Geheimnis und bedrohlicher Ungewißheit. Der Film beginnt mit einer grandiosen Kamerafahrt durch das Wachsfigurenkabinett: Langsam schweift die Kamera über den von Anton Grot, dem „art director“ der Warner Bros., entworfenen Decor, eröffnet ihm gleichzeitig ein Eigenleben und läßt so bereits die Grundstimmung des Films anklingen.
Ein ähnliches „travelling“ steht auch am Anfang von „Angels with dirty faces“: Hier gilt sie einer Hinterhoflandschaft in den Slums von Chicago. Der bewußte Einsatz einer beweglichen Kamera erweist sich auch in anderen Produktionen als eine der Qualitäten von Curiz‘ Inszenierung.
Die „Ära Flynn“
Stärker als die Produktionen der übrigen Studios reflektieren die Filme der Warner Bros. während der dreißiger Jahre die Politik des „New Deal“ mit ihrem Appell an das soziale Bewußtsein. Mitte des Jahrzehnts, als die Folgen der Depression überwunden waren, wendete sich das Studio neuen Genres zu. Curtiz erhielt die Aufgabe, einige „Merrie England pictures“ in Szene zu setzen: in England spielende, romantische Abenteuerfilme mit einem „swashbuckler“ (Held eines Mantel- und Degenfilms) in der Hauptrolle. Das Ergebnis seiner Arbeit in diesem Subgenre sind die vielleicht bemerkenswertesten Filme seiner langen Karriere; Filme, die zugleich Höhepunkte der Studioproduktion in Hollywood darstellen. „Captain Blood“ (1935), „The adventures of Robin Hood“ (1938) oder „The Sea Hawk“ (1940) haben auch nach einem halben Jahrhundert nichts von ihrem Elan und ihrer Frische verloren.
Wenn man ungeachtet der Produktionsmethoden in den Studios der Warner Bros. von einem individuellen Stil des Michael Curtiz sprechen möchte, so tritt er in diesen Filmen am deutlichsten zum Vorschein: in der Verve der Inszenierung und in dem Gespür für Rhythmus und Aktion. Diesem dynamischen Stil entsprach die Darstellungsweise und körperliche Präsenz eines bis dahin unbekannten australischen Schauspielers: Errol Flynn. Er verkörpert den archetypischen Helden vieler Curtiz-Filme: einen Individualisten, der seine hohen moralischen Ansprüche durch physische Taten in die Praxis umsetzt, einen Mann, der sich durch Aktion definiert. Flynns Degenduelle mit Basil Rathbone, dem besten Fechter Hollywoods, geraten unter der Regie von Curtiz, der Eleganz seiner Choreographie, zur reinen Kinopoetik. Aber auch andere Charakteristika des Inszenierungsstils von Curtiz werden in den „Merrie England pictures“ sichtbar: die Vorliebe für den dramaturgischen Einsatz von Schatten und Silhouetten oder die Verwendung von Kranfahrten, die die Figuren zum Raum und zum Dekor in Beziehung setzen.
Den Filmen der „Ära Flynn“ haftet durch den Verzicht auf jede Art der Pretention eine zauberhafte Leichtigkeit an. Gerade die scheinbare Mühelosigkeit dieser Filme weist sie als perfekte Resultate des Studiosystems aus, in dem sich die Arbeit der fähigsten Spezialisten vereinte. „The Sea Hawk“, ein maritimes Fresko, verdankt seine Qualität ebenso der Inszenierung des Ungarn Curtiz wie den schweren und massiven Bauten des Polen Anton Grot, der symphonischen Musik des Mähren Erich Wolfgang Korngold oder der auf harte Kontraste bedachten Lichtgebung des italienischen Kameramanns Sol Polito.
Exilant in Hollywood
Trotz seiner beispiellosen Anpassung an das Studiosystem Hollywoods verschließt sich Curtiz dem „American way of life“, bleibt er ein Exilant: ein Thema, das in vielen seiner Filme manifest ist. Zeitlebens radebricht er Englisch mit einem fürchterlichen Akzent und einer abenteuerlichen Grammatik. Mit den Schauspielern spricht er nun über einen Regieassistenten, der als eine Art Dolmetscher fungiert. Berüchtigt durch die Ausbrüche seines manisch-depressiven Temperaments, weigern sich manche Schauspieler, mit Curtiz zu arbeiten. So zerbricht auch die fruchtbare Zusammenarbeit mit Flynn aufgrund persönlicher Animositäten. Überzeugt, daß „der Erfolg eines Akteurs nichts anderes als der Erfolg des Regisseurs ist“, unterwirft er das Spiel der Darsteller, unabhängig ihres Talents, stets den rhythmischen Erfordernissen des von ihm inszenierten Filmes.
Curtiz ist der Studioregisseur „par excellence“. Ausgestattet mit einem untrüglichen Gespür für Rhythmus und Aktion, hilft er den Stil eines Studios zu prägen und wird seinerseits von dessen Organisation geprägt. Das Resultat dieses Wechselverhältnisses gilt es im „Arsenal“ zu entdecken und mit ihm die Kraft und Vitalität des klassischen amerikanischen Erzählkinos.
Robert Müller
Termine siehe „La Vie“
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