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Kneipensturm an „verrufenem Ort“

Münchner Polizei begründet Sturm auf Szenelokal nach 129a-Prozeß / Strafverteidiger kritisieren Fortsetzung der „Münchner Linie der Unvernunft“ / Bayerische Grünen befürchten Anlegung einer „Gesinnungskartei“  ■  Aus München Luitgard Koch

Als „willkürlich und rechtswidrig“ bezeichnete die Initiative Bayerischer Strafverteidiger den martialischen Polizeieinsatz am vergangenen Dienstag im Zusammenhang mit einem derzeit in München laufenden §129a-Verfahren. Mit der Begründung, die Besucher würden sich an einem „verrufenen“ Ort aufhalten, stürmten Polizeibeamte die Münchner Szenekneipe „Normal“, wie gestern berichtet. Die sieben vorläufig Festgenommenen sind inzwischen wieder freigelassen worden.

Als Rechtsgrundlage operiert die Polizei zum einen mit dem Bayerischen PAG (Polizeiaufgabengesetz) Art.12, wonach die Polizei eine Personalienüberprüfung durchführen kann, wenn sich die Person an einem Ort aufhält, von dem aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte anzunehmen ist, daß dort Straftaten vorbereitet und verabredet werden. Gleichzeitig hieß es, die Personalien müßten deshalb festgestellt werden, weil man die Namen der Anwesenden als potentielle Zeugen dafür benötige, daß eine nicht angemeldete Demonstration vom Gericht zur Kneipe durchgeführt worden sei.

Weder das Versammlungsrecht noch das Polizeiaufgabengesetz geben der Polizei die Befugnis zu derartigen Übergriffen, stellte hingegen die Initiative Bayerischer Strafverteidiger fest. Sie sehen in dem rigiden Vorgehen der Polizei ein Festhalten an der „Münchner Linie der Unvernunft“. Für die Verteidiger der beiden Angeklagten steht fest, daß die Polizeiaktion die Öffentlichkeit im Hinblick auf den Prozeß einschüchtern soll (bekannte Taktik...d.S.). Gleichzeitig sollten damit alle Prozeßbesucher, auch diejenigen, die vor der Tür standen, polizeilich erfaßt werden.

Da der Gerichtssaal zu klein war, mußten etliche Besucher draußen bleiben. Ihre Daten konnte die Polizei im Gegensatz zu den Prozeßbesuchern im Gerichtssaal, deren Ausweise fotokopiert wurden, nicht sammeln. Die Landtagsfraktion der bayerischen Grünen befürchtet, daß hier eine „Gesinnungskartei“ angelegt werden soll, und verlangt in einer schriftlichen Anfrage von der Bayerischen Staatsregierung Aufklärung über den Polizeiübergriff. Bei dem brutalen Vorgehen der Polizei wurde auch eine junge Frau verletzt. Sie erlitt mehrere Prellungen und eine Gehirnerschütterung. Über ihren Rechtsanwalt will sie Strafanzeige gegen die Polizisten stellen.

Veranstaltungen zum §129a-Prozeß und den Versammlungsverboten in Bayern sowie zur „Situation der politischen Gefangenen“ finden statt am 11.11. in Erlangen, E-Werk 20Uhr; in München am 14.11. in der „Manege“, Steinseestraße 2, 20Uhr.

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