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Bleistifte gegen Atommüll

Bleistiftminenalarm, ein verschwundener Bagger und eine Demonstration: Ein französisches Dörfchen in Burgund streitet mit unkonventionellen Methoden gegen die geplante Atommüllhalde  ■  Aus Burgund Georg Blume

Von dem Minenalarm in Burgund hörte man in Paris erst spät. Die örtlichen Behörden aber hatten sofort reagiert. Schon im dichten Frühnebel des Montagmorgens waren Minensuchdienst und Zivilschutz aus der Provinzhauptstadt Bourg-en-Bresse in das minengefährdete Gebiet bei Saint-Julien-sur-Reyssouze vorgedrungen - ein anonymer Anrufer hatte am Vorabend die Feuerwehr gewarnt. Saint-Julien-sur-Reyssouze: den Flecken werden einige Pariser Atombosse sich merken müssen. Denn dort hatten Umweltschützer offensichtlich versucht, eine geplante Atommüllhalde durch Verminung zu verhindern. „Das waren natürlich nur Bleistiftminen“, freut sich der Dorfschullehrer Serge Favier. Und schadenfroh beobachtet das ganze Dorf den großen Lärm um nichts.

Kein Zweifel, Serge ist derzeit der wichtigste Mann im Dorf. Er ist Generalsekretär des Vereins für den Erhalt der Bresse. Wer dieses Gebiet nicht kennt, hat vielleicht den bei richtiger Lagerung so wunderbaren Bresse-Bleue-Käse in Erinnerung.

„Also“, sagt Serge, „bei uns plant das Nationale Amt für die Lagerung radioaktiver Abfälle (ANDRA - d.Red.) ein Atommüllager. Weil es hier viel Salz in der Erde gibt. Also haben sie letzten Donnerstag mit den Bohrarbeiten begonnen.“ Da wurde gehandelt: Über Nacht ist der Bagger verschwunden. Am nächsten Tag wurden die Büros der ANDRA ausgeräumt und zugemauert. Am Samstag gab es eine Demonstration, an der über tausend Menschen teilnahmen - kaum mehr kommen in Paris bei ähnlichen Anlässen zusammen. Und am Montag gab es schließlich den Minenalarm.

Saint-Julien-sur-Reyssouze ist kein Einzelfall. In allen fünf Dörfern in ganz Frankreich, wo die Regierung erst zu Jahresbeginn Untersuchungen für die Einrichtung atomarer Zwischenlager für hochradioaktiven Müll genehmigte, haben sich inzwischen lokale Widerstandsgruppen formiert. Im Departement Deux-Sevres in Westfrankreich koordiniert der Ziegenbauer Pierre Ge die Aktivitäten der einzelnen Gruppen. „Was die Herren in Paris heute stört, ist die Tatsache, daß es eben nicht die Grünen, sondern die Anlieger selbst, Bauern, Handwerker und Geschäftsleute, sind, die sich wehren“, meint Pierre. Die Ereignisse in Saint-Julien können ihn nicht erstaunen. „Egal wo: Wenn das ANDRA einen Schritt unternimmt, unternehmen die Bewohner den nächsten. Wir provozieren nicht - wir antworten nur auf Provokation.“

Im verantwortlichen Industrieministerium ist man sich dieser Auffassung schon bewußt. „Die derzeitigen Reaktionen der betroffenen Bevölkerung erscheinen mir vorerst ganz normal.“ Der Pressesprecher des Ministeriums, Christian d'Oleon, will keine neue Unruhe stiften. „Unsere Idee ist doch, daß wir uns für die Suche nach einem geeigneten Lagerplatz Zeit lassen, so daß jeder mitdiskutieren kann.“ D'Oleon wird gute Nerven brauchen. „Also“, hatte der Dorfschullehrer Serge gesagt, „es sieht ein bißchen so aus, als wenn das hier ein zweiter Larzac werden könnte.“ Wer kennt ihn noch, den wunderbaren Roquefort vom Larzac?

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