Reagans Erblast-Verwalter tritt an

■ Ex-Vize Bush wird neuer Präsident der USA / 54 Prozent der Wähler stimmen für Bush, 46 für Dukakis / Niedrige Wahlbeteiligung / Demokraten bauen Mehrheit im Kongreß aus / Neuer Chef im Pentagon wird wahrscheinlich John Tower / Brady bleibt Finanzminister

Berlin (ap/taz) - War es die Ironie der Geschichte oder eiskalte Berechnung? Am selben Tag als George Bush seinen größten Triumph feierte, wurde der Irangate-Drahtzieher Oliver North wegen seiner Machenschaften in Washington vor Gericht vernommen. Der Sündenbock machte am Dienstag gute Miene zum bösen Spiel. Schließlich stand für seinen ehemaligen Vize-Chef der Aufstieg zum höchsten Amt der USA auf dem Spiel. Bis zuletzt wollten die Gerüchte nicht abreißen, daß Bush von den Drogen- und Geiselgeschäften im Weißen Haus gewußt hatte. Doch das Kalkül der Krisenmanager von Bush ist aufgegangen: Trotz Irangate, Haushaltsdefizit und Schmieren-Wahlkampf wird Bush am 20. Januar 1989 zum nächsten Präsidenten der USA ernannt.

Angefangen hatte der amerikanische Wahltag noch ganz passabel: Euphorisch berichteten die großen amerikanischen TV-Stationen, die Wahlbeteiligung werde dieses Jahr sicher höher liegen als 1984 und 1980, sie könnte sogar Rekordausmaße erreichen. Die ersten Hochrechnungen Dienstag abend bestätigten den Trend und ließen Hoffnungen keimen, denn eine alte Faustregel amerikanischer Wahlen lautet: eine hohe Wahlbeteiligung kommt der Demokratischen Partei zugute. Doch schon bald drehte sich der Trend um: Die Wahlbeteiligung 1988 ist niedriger als 1948. Knapp 50 Prozent der 182,6 Millionen Wahlberechtigten gingen am Dienstag zu den Urnen. Dukakis konnte nur 46 Prozent der abgegebenen Stimmen und 112 Wahlmänner auf sich vereinigen. 54 Prozent der Wähler (rund 41 Millionen) stimmten für Bush und sicherten ihm damit eine überwältigende Mehrheit der insgesamt 538 Wahlmänner. Die werden am 17. Dezember zusammentreten, um den Präsidenten offiziell zu wählen. Immerhin gelang es dem demokratischen Präsidentschaftskandidaten, zehn Bundesstaaten und die Bundeshauptstadt Washington für sich zu gewinnen. Sein Vorgänger Walter Mondale hatte 1984 im Wahlkampf gegen Reagan lediglich die Wähler seines Heimatstaates Minnesota und der Bundeshauptstadt hinter sich bringen können. Überraschend schwach schnitt Dukakis in den demokratischen Hochburgen an der Ostküste und in den Südstaaten ab.

In seiner Wahlheimat Texas versprach Bush nach der Bekanntgabe des Wahlergebnisses, er wolle der Präsident aller Amerikaner sein und sich für ein „freundlicheres Amerika“ einsetzen, „das stark und entschlossen in der Welt und stark und großherzig zu Hause auftritt“. Wie entschlossen oder großherzig er auftreten kann, wird allerdings vom Kongreß mitbestimmt werden, in dessen beiden Häusern die Demokraten ihre Mehrheiten ausbauen konnten. Im Abgeordnetenhaus, das völlig neu gewählt... Fortsetzung auf Seite 2

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wurde, werden die nächsten zwei Jahre 260 demokratische Mandatsträger sitzen (bisher 255, Republikaner 177). Im Senat gewannen die Demokraten zwei Sitze dazu und stellen nun 56 Senatoren, die Republikaner 44. Damit bestätigten die Wahlen vom Dienstag einen schon länger anhaltenden Trend der Wähler, die Macht in Washington zwischen den beiden Parteien auf das Weiße Haus und den Kongreß zu verteilen.

Das Repräsentantenhaus wird seit 1954 ununterbrochen von einer demokratischen Mehrheit geführt. Im Senat war die demokratische Vorherrschaft von 1980 bis 1986 unterbrochen. Die Kandidaten haben ein so perfektes System für die Eigenwerbung geschaffen und werden von zahlungskräftigen Lobbyisten unterstützt, daß neue Bewerber immer weniger Chancen haben. Beweis dafür ist die hohe Zahl der Mandatsträger, die wiedergewählt werden: 1986 waren es 98 Prozent. Ähnliches gilt für die Gouverneursposten der Bundesstaaten, bei denen die Demokraten diesesmal ihre Mehrheit um zwei ausbauen konnten.

Mit ihrem Abschneiden bei den Wahlen am Dienstag sollten die Demokraten zufrieden sein, denn ein demokratischer Wahlsieg hätte - so ein gutmeinender Berater - eine Wiederwahl der Demokraten für die nächsten 40 Jahre verhindert. Angesichts der Probleme, die Reagan seinem Nachfolger vererbt, scheint es nur richtig, daß sein Vize Bush die Suppe auslöffelt. Allein an Zinsen für das gigantische Loch im Staatshaushalt müssen amerikanische Steuerzahler im nächsten Jahr 160 Milliarden Dollar aufbringen. Nur in enger Zusammenarbeit mit dem demokratisch geführten Kongreß wird es Bush gelingen, Lösungsansätze für die Finanz- und Handelskrise der USA zu finden. Für die neue Regierungsmannschaft wird erwartet, daß der erst vor wenigen Monaten von Reagan ernannte Finanzminister Nicholas Brady im Amt belassen wird. Außenminister soll der enge Freund von Bush, William Baker III. werden, der von 1981 bis 1985 Stabschef im Weißen Haus war, anschließend bis August das Finanzministerium leitete und dann Bush Wahlkampf managte.

Gute Chancen, neuer Chef im Pentagon zu werden, hat John Tower. Der Ex-Senator war Vorsitzender des Streitkräfteausschusses im Senat und leitete die Untersuchungen zu Irangate. Zu den „Neulingen“ gehört der 33jährige Craig Fuller, der der neue Stabschef im Weißen Haus werden soll. Die sowjetische Zeitung 'Meschdunarrodnaja Schisn‘ bezeichnete den Wahlausgang als „günstig“, weil „wir Bush schon lange kennen und die amerikanische Politik berechenbar bleibt“.

mf