FIGUREN OHNE LEBEN

■ „Fragen an einen Tod“ vom Theater Ikaro

Eine simple Geschichte: Ein Liebeswerben, ein Hochzeitsfest, berauscht, auf dem der Bräutigam die Braut der schon verlorenen Unschuld überführt. Ein Drama im moral- und emotionsschweren Milieu - eines stadtfernen, lateinamerikanischen Dorfes, in dem die wütig aufgebrausten Brüder der Braut den Namen des Schänders aus ihr herauspressen, um ihn zu finden und zu töten. Eine triviale Geschichte, eine Zeitungsmeldung, die man vielleicht überlesen würde. Oder ein Roman, der in der Psychologie der Beteiligten, der Reflexion des Autors erst die wahre, in der äußeren Handlung verborgene Geschichte enthüllt. Garcia Marquez, dessen Roman „Chronik eines angekündigten Todes“ dem „Theater Ikaro“ die Vorlage zu seinem Stück „Fragen an einen Tod“ gab, mag dies gelungen sein. Auch das Theater, das auf die Weitschweifigkeit des Romanciers verzichten muß, könnte eine solche Geschichte über die Trivialität erheben, und den Reichtum der Bezüge von Liebe, Eifersucht und Mordlust verdichtend enthüllen. Oder, es könnte durch ein geschicktes Spiel mit den Formen die widersprüchlichen Handlungsebenen benennen, und Aspekte der Geschichte sichtbar machen.

Verschiedener Ebenen bedient sich das Theater Ikaro allerdings. Da sind die Akteure: ein Priester, eine Hure, ein junger Herr, die sich zunächst die Geschichte erzählen. Auf einer auf die Bühne gesetzten Puppenbühne beginnen sie, sie mit beweglichen, halblebensgroßen Puppen vorzuspielen. Dann gibt es eine noch kleinere Bühne, einen Dorfplatz im Spielzeugformat, auf dem die Szenen von größerer räumlicher Dimension durch bloße Verrücken der kleinen starren Puppen angedeutet werden. Man mag da versucht haben, der Kraft eines volkstümlichen Puppentheaters, wie es das auf lateinamerikanischen Jahrmärkten wohl geben wird, gleichzukommen, die sich aus der das Triviale nicht scheuenden Erzählleidenschaft, der Lust der Akteure am spontanen Schauspiel, dem brennenden, herandrängenden Interesse des Publikums speist.

Hier sehen wir nur Darsteller, die mit der nur zu bekannten schauspielerischen Halbbildung agieren. Mögen sie gute Puppenspieler sein, man bemerkt das nicht, da sie zwischen Schau- und Puppenspiel pendeln, sich nicht entscheiden, welcher Spielform sie die Intensität geben wollen. So gelingt es auf keiner der Spielebenen, auch nur einen atmosphärisch dichten Moment hervorzubringen. Und dieses Spiel müßte sich nicht nur auf und um die Puppenbühne vollziehen, sondern auf der ganzen Bühne, die hier aber leer ist und leer bleibt, weil sie nicht durch die Präsenz der Schauspieler und die Aussagekraft der Requisiten erfüllt wird. Das scheint dem Theater Ikaro entgangen zu sein. Man sieht ein beliebiges Nebeneinander der beiden Puppenbühnen, verschiedener Requisiten und der Akteure, die bisweilen aus technischen Gründen die Bühne überqueren. Was gerade nicht gebraucht wird, steht sinnlos herum, wie auch der jeweils überzählige Darsteller, der sich die Zeit zu vertreiben scheint. So bleibt es eine triviale, beliebige Geschichte, die in dieser Bühnenfassung nicht über die Bedeutungslosigkeit hinauskommt.

glagla

Das „Theater Ikaro“ zeigt „Fragen an einen Tod“, täglich um 20 Uhr bis zum 13.11. in der Theatermanufaktur am Halleschen Ufer.