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Vom Alltag bis zur Massenvernichtung

■ Fotos und Dokumente aus dem jüdischen Alltag während des Faschismus sind auf der Ausstellung „Aus Nachbarn wurden Juden“ zu sehen / Protest der Organisatoren nicht nur gegen die Pogrome, sondern auch gegen mangelnde Initiative und Unterstützung vom Senats

Wie wird ein Nachbar zu „dem anderen, dem Juden“? Wie konnte das von den Nazis erzeugte Feindbild einen derartigen Haß in der Bevölkerung hervorrufen, der von der alltäglichen Diskriminierung bis zur Duldung der grauenvollen Massenmorde führte? Bislang kaum bekannte Bilder aus dem Alltag in Berlin unter dem Nationalsozialismus, aus dem normalen Leben jüdischer Mitbürger und dem zunehmenden Antisemitismus in der Bevölkerung sind dagegen jetzt in einer Ausstellung des „Aktiven Museums“ im Mehringhof zu sehen.

Die eindrucksvollen Dokumente stammen überwiegend aus dem Nachlaß des jüdischen Fotografen Abraham Pisarek. In sieben Abschnitte eingeteilt, zeigen sie nicht nur diskriminierende Gesetze und Regelungen, sondern auch die schleichende und offene Ausgrenzung und Gettoisierung der Juden. Ebenso veranschaulichen sie die Vielfalt des jüdischen Alltags, Bilder aus Berliner Straßen, aus Arbeiterfamilien, aber auch stockkonservativen politischen Organisationen sowie kulturellen und sozialen Einrichtungen. Eine Abteilung widmet sich auch speziell dem Leben jüdischer Kinder, für die die Reichsvertretung der deutschen Juden bis 1942 Extraschulen einrichten konnte.

Anlaß dieser Ausstellung mit dem Titel Aus Nachbarn wurden Juden ist allerdings nicht nur die Erinnerung an die Pogrome vor 50 Jahren. In Zusammenarbeit mit der Jüdischen Gruppe Berlin, dem Bündnis gegen Rassismus, Faschismus und Sexismus, dem Transitverlag, Netzwerk, Mehringhof und anderen will das „Aktive Museum“ jedenfalls auch Protest zum Ausdruck bringen. Denn von seiten des Senats ist indes keine dem Anlaß angemessene Ausstellung rechtzeitig geplant und finanziert worden, erklärt Mitorganisator Rainer Nietsche verärgert.

Begleitet wird die Ausstellung, die noch bis zum 11.12. bei freiem Eintritt von 10-18 Uhr zu sehen ist, von vier Informationsveranstaltungen. So findet am kommenden Montag ab 18 Uhr ein Gespräch mit Zeitzeugen, unter ihnen auch die Ärztin Ruth Gross, Tochter des Fotografen Pisarek, im Mehringhof statt. Diskussionen folgen an den jeweiligen Montagen der kommenden Wochen.

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