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Die trüben Wasser von Piräus

■ Der „Fall Koskatas“ bringt nicht nur Licht in die real existierende Korruption in Griechenland, sondern auch die Regierung Papandreou in ernste Verlegenheit / Wegen Unterschlagung angeklagter Bankier, Verleger und Fußballklubbesitzer verschwand spurlos auf dem offenen Meer / Regierungskrise in Athen

Niels Kadritzke

Seit Wochen kennt die griechische Öffentlichkeit nur noch ein Thema: Der „Fall Koskotas“ - spannender als ein Krimi und trüber als der Hafen von Piräus.

Vor acht Jahren war Koskotas aus den USA nach Griechenland gekommen, wurde Angestellter einer Bank und - kaufte plötzlich einen Arbeitgeber. Woher das Geld kam, wußte niemand. Sicher war nur eins: es schien täglich mehr zu werden. Koskotas kaufte sich einen Fußballklub und mehrere Zeitungen zusammen. Alle Blätter wurden zu treuen Anhängern der PASOK von Ministerpräsident Andreas Papandreou. Zufall? Auf alle Fälle gelang es dem Bankier am vergangenen Wochenende die Flucht unter ungeklärten Umständen.

Nach Bekanntwerden des Unterschlagungsskandals sind erhebliche Zweifel daran aufgekommen, inwieweit Mitglieder der griechischen Regierung und des sozialistischen Parteiapparats die Geschäfte Koskotas unterstützt haben. Bei der Prüfung durch die „Bank von Griechenland“ wurde bekannt, daß Millionenbeträge der öffentlich-rechtlichen Einrichtungen bei der „Bank von Kreta“ deponiert worden waren. Der Oppositionsführer Mitsotakis hatte am Montag nachmittag den Rücktritt der sozialistischen Regierung Papandreou und sofortige Neuwahlen unter einem Geschäftsführenden Kabinett gefordert. Mitsotakis sagte, die Regierung trage die Verantwortung für die Flucht des Bankiers, dem dazu verholfen worden sei, „damit er nicht redet“. Inzwischen hat der griechische Minister für öffentliche Ordnung, Stathis Sechiotis, seinen Rücktritt eingereicht.

Fast täglich bietet die griechische Schmierseifenoper die unwahrscheinlichsten Wendungen. Und entwirft dabei ein Sittengemälde, das die soziale Gegenwart - und die politische Zukunft - des Landes in schmerzhafter Detailschärfe vor Augen führt.

Die Serie hat einen Titelhelden, dessen Name außerhalb Griechenlands bislang nur dem Kreis von Fußball -Internationalisten vertraut war, die sich für den gesamteuropäischen Horizont von Spielertransfers und Kapitalbewegungen interessieren. Zum Erstaunen dieser Kreise war vergangenen Sommer der bislang teuerste Transfer auf dem Fußballer-Markt ausgerechnet aus Griechenland gemeldet worden: Olympiakos Piräus hatte der Frankfurter Eintracht für knapp 18 Millionen Mark (inkl. MwSt.) den ungarischen Spielmacher Detari abgekauft. Die Frage war: wie kommt ein international zweitklassiger Verein zu so viel Geld? Die Antwort lautete auf den Namen Koskotas.

Der 34jährige Jungunternehmer hatte 1987 von einem Tag auf den anderen die Aktienmehrheit von Olympiakos erworben und die pikierte Mitgliedschaft mit dem Versprechen beschwichtigt, den Verein binnen kurzem auf Weltniveau hochzuputschen. Sein erster Coup war der Einkauf des ungarischen Spielers Lajos Detari. Daß Koskotas damit nicht nur sein Hobby, sondern handfeste populistische Machtpolitik pflegen wollte, ging der konsternierten Athener Presse erst bei der Ankunft des Ungarn auf griechischem Boden auf. 50.000 Olympiakos-Fans feierten ihren Gönner, der ihnen vom Balkon des Rathauses sein „Geschenk an das Volk von Piräus“ präsentierte. Koskotas kauft eine Bank

Die Übernahme des traditionsreichen Fußballklubs war der letzte Schritt in einer beruflichen Laufbahn, die schon jahrelang für Gesprächsstoff gesorgt hatte. Giorgos Koskotas war 1979 als Sohn griechischer Auswanderer aus den USA ins Vaterland heimgekehrt. An seinem ersten Arbeitsplatz, der „Bank von Kreta“, wäre der feiste junge Mann nicht weiter aufgefallen, wenn er nicht eines Morgens als Besitzer zur Tür hereingekommen wäre. Der Angestellte hatte sozusagen über Nacht die Aktienmehrheit seines Geldinstitutes erworben. Seit dem Tage waren die meisten Griechen geneigt, dem mutmaßlichen Wunderknaben sein etwas ödes Babygesicht als undurchdringliches Pokerface abzunehmen. Seitdem sind aber auch Erörterungen über das Thema: „Wo hat dieser Koskotas bloß sein Geld her?“ zu einem leidenschaftlichen Nationalsport geworden.

Die „Bank von Kreta“ war nämlich nur der Anfang. Mit dem Kauf der konservativen Blätter 'Kathimerini‘ und 'Vradini‘, sowie der Gründung der Tageszeitung '24 Ores‘ und einer ganzen Reihe von Illustrierten begann Koskotas, sich zum griechischen Presse-Cäsar aufzubauen.

Die Entstehung dieses publizistischen Imperiums, das durch eine private Radiostation arrondiert wurde, vollzog sich in einer Presselandschaft, die für die regierende PASOK zu einem immer schwierigeren Gelände wurde. Im Sommer 1985 war es der Partei unter Führung von Andreas Papandreou gelungen, 46 Prozent der Wählerstimmen zu erringen und ihre klare Parlamentsmehrheit zu bestätigen. Nachdem Papandreou mit der Parole geworben hatte, seine „sozialistische Bewegung“ werde in ihrer zweiten Regierungsära das 1981 begonnene Werk des „Wandels“ vollenden, mußte er schon im Oktober 1985 einen peinlichen Wandel zum schlechteren verkünden: die Wirtschaftslage Griechenlands zwänge die Regierung zu einem strengen Austeritätsprogramm, dem die meisten Wahlversprechen zum Opfer fallen müßten. Zwar konnte der Parteichef die Unruhe in den eigenen Reihen mit dem üblichen Machtwort des unfehlbaren Partei- und Regierungsoberhauptes unter Kontrolle bringen. Aber einflußreiche Zeitungen, die den „Wandel“ von 1981 unterstützt hatten, begannen die nach rechts gerückte PASOK-Politik offen zu kritisieren.

Dazu gab es reichlich Anlaß. In dem Maße, wie den kleinen Leuten das Einkommen beschränkt und die Sozialleistungen gekürzt wurden, häuften sich die Finanz- und Korruptionsskandale, die keineswegs immer das Ende der begünstigten Partei- oder Beamtenkarriere bedeuteten. Um so auffälliger war, daß die von Koskotas beherrschten Zeitungen die PASOK mit ungewohnt wohlwollender Aufmerksamkeit behandelten. Verhaftung

vor dem Weißen Haus

Der Verdacht, daß der neue Verleger im Begriff stand, der Regierung in einer widrigen Presselandschaft eine publizistische Reservearmee zuzuführen, erhielt im Oktober 1987 neue Nahrung. Bei einem USA-Besuch wurde Koskotas - auf dem Wege ins Weiße Haus, wo er zu einem Empfang geladen war

-vom FBI verhaftet. Der Haftbefehl bezog sich auf Dutzende von Delikten aus seinen New Yorker Jugendjahren, die eine besondere Leidenschaft für Fälschungs- und Unterschlagungsoperationen offenbarten. Die Details dieser für einen Banker bemerkenswerten Kleinkriminellen-Karriere führten nach der Rückkehr von Koskotas - die ihm durch eine Kaution von einer Million Dollar ermöglicht wurde - zu neuen Mutmaßungen über den finanziellen Untergrund seiner Geschäfte. Zumal diese ersichtlich wenig erfolgreich waren: Nach betriebswirtschaftlichem Ermessen hätte das „Phänomen Koskotas“ jedenfalls längst finanziell ermattet in sich zusammensinken müssen.

Im Juni 1988 mußte die Regierung unter dem Druck immer neuer Presseberichte endlich beschließen, die „Bank von Kreta“ auf vermutete Deckungslücken durchleuchten zu lassen. Aber als der Staatsanwalt nach der ersten Koskotas -Vernehmung die Aufhebung des Bankgeheimnisses beantragte, legte sich das Justizministerium quer. Wieder hatte sich eine schützende Hand gefunden, wurde die Wahrheit über Koskotas zum Betriebsgeheimnis der PASOK-Herrschaft erklärt. Da trat plötzlich am 18.Oktober - drei Tage vor der Rückkehr des herzoperierten Ministerpräsidenten Papandreou - die sensationelle Wende ein. Die Bank von Kreta

im Justiz-Labyrinth

Die Staatsanwaltschaft konnte ein gefälschtes Dokument präsentieren, mit dem die Bank von Kreta eine Deckungslücke von 15 Millionen Dollar zu kaschieren versucht hatte. Das erste Puzzle-Stück für den „Jahrhundert-Betrug“ war gefunden. Die Regierung sah sich gezwungen, der Koskotas -Bank einen Staatskommissar ins Haus zu setzen und diesem ein unbeschränktes Untersuchungsrecht einzuräumen. Koskotas reagierte mit einer bemerkenswerten Verzweiflungstat: seine Zeitung '24 Ores‘ veröffentlichte einen Apell an Papandreou, der möge seine PASOK-Statthalter in Athen zur Ordnung rufen und nach seiner Rückkehr aus London den „Angriff auf die Pressefreiheit und das freie Unternehmertum“ zurückzupfeifen.

Aber die Enthüllungslawine war nicht mehr aufzuhalten. Und es hat ganz den Anschein, als werde sie die ganze PASOK -Regierung mit sich reißen: die Anzeichen häufen sich, daß Koskotas und maßgebliche PASOK-Größen in einer ökonomisch -politisch-publizistischen Seilschaft zusammenhängen, deren gemeinsamer Aufstieg nur den gemeinsamen Absturz nach sich ziehen kann.

Da ist einmal die fast irre Episode, die dem Drehbuch einer mißglückten Kriminalgroteske entnommen scheint. Als Koskotas mitansehen mußte, wie seine in den Tiefen des Bankgeheimnisses verborgenen Finanztricks - gefälschte Unterlagen, gezinkte Kredite an Scheinfirmen usw. - ans Tageslicht kamen, setzte er noch einmal alles auf eine Karte. Er ließ dem Justizminister und Vize-Regierungschef Koutsojorgas ein brisantes Dokument überbringen: die kopierten Kontoauszüge einer New Yorker Investmentgesellschaft, die unter dem Namen von drei führenden PASOK-Figuren Dollarbestände in Millionenhöhe auswiesen. Einer der Belasteten, des Ministerpräsidenten Sohn und Erziehungsminister, Giorgos Papandreou, konnte das Dokument zwar innerhalb von drei Tagen als Fälschung entlarven und der Öffentlichkeit mit dramatischer Geste als Erpressungsversuch vorführen. Aber die plumpe Machart des Papiers hat eher Spekulationen genährt, daß der erfahrene Fälscher Koskotas nur einen Warnschuß abgeben wollte. Zumal er erklären ließ, daß er das veröffentlichte Papier gar nicht kenne, wohl aber über ganz andere - und zwar echte Papiere verfüge. Papandreous

schützende Hand

Ob der gescheiterte Banker echte Belastungsdokumente besitzt oder nicht, wird sich womöglich nie herausstellen. Aber für seine Verbindungen zur PASOK gibt es andere Indizien, die nach seiner erstaunlichen Flucht noch an Überzeugungskraft gewinnen. Das stärkste Indiz liegt in der Tatsache begründet, daß ein ausgewiesener Betrüger so lange unbehelligt von der Bankaufsicht seinen betrugsverdächtigen Geschäften nachgehen konnte. Für die Athener Presse steht mittlerweile fest, daß dafür Papandreous Justizminister und Stellvertreter Koutsojorgas verantwortlich ist. Wie der Zufall so spielt, hat dessen Frau vor kurzem Immobilienbesitz von der „Bank von Kreta“ erworben, der preislich beträchtlich unter dem Marktwert lag.

Ministerielles Wohlwollen erfuhr Koskotas aber auch von einem anderen Regierungsmitglied, das für die Entwicklung der Ägäis-Region zuständig ist. Im Frühjahr 1988 konnte er diesen Minister für ein Geschäft gewinnen, das sich nicht nur hinter den Kulissen, sondern auch hinter dem Rücken der PASOK-Parlamentsfraktion abspielte. Ein diskreter Vertrag sicherte dem Multi-Unternehmer die Aktienmehrheit eines durch staatliches Gesetz gegründeten Unternehmens zur „Ausbeutung der Ägäis“. Zwar scheiterte der eingefädelte Deal am Widerstand der verärgerten Parlamentarier. Aber deren Forderung nach Ablösung des Ägäis-Ministers fand kein Gehör beim Ministerpräsidenten, der seine schützende Hand über dem Koskotas-Partner nicht zurückziehen wollte.

Eine weitere Affäre, die Anfang August Schlagzeilen gemacht hatte, wirft im Lichte der letzten Enthüllungen noch verdächtigere Schatten. Im Mittelpunkt dieses Skandals stand der Direktor der staatlichen Telefongesellschaft OTE, der mit seinem umfassenden Mithörerwissen als eine Art „graue Eminenz“ unter den PASOK-Größen gilt. Unter Vorlage obskurer Dokumente aus der Junta-Zeit beschuldigte dieser Tobras - 14 Jahre nach dem Ende der Diktatur - einen Journalisten, für den Geheimdienst der Obristen gearbeitet zu haben. Der Denunzierte hatte kurz zuvor als erster griechischer Journalist gewagt, über die engen Verbindungen zwischen Koskotas und der Famillie Papandreou zu berichten. Worauf der Herr über das griechische Telefonnetz sein erpresserisches „Beweisstück“ aus dem Ärmel zog und drohend verlauten ließ, daß er sich ähnliche Dokumente auch über andere Journalisten beschaffen könnte. Die Botschaft war klar: wer gewisse Tabus nicht respektiert, muß mit öffentlichem Rufmord rechnen.

Spätestens seit dieser Episode ist die Frage unabweisbar geworden: Was verdankt die PASOK einer so bizarren Unternehmerfigur wie Koskotas? Gilt ihr Wohlwollen nur dem Verleger, dessen Zeitungen immer wieder hochrangige Funktionäre der Regierungsmedien in leitende Positionen berufen hat? Ist es nur so zu erklären, daß Ministerpräsident Papandreou noch nach der Anklageerhebung gegen Koskotas seine einzigen Exlusivinterviews ausgerechnet an eine Rundfunkstation und eine Illustrierte vergeben hat, die beide zum Imperium des Großbetrügers gehören?

Ob der Untersuchungsausschuß des griechischen Parlaments der gegen den Widerstand des Justizministers zustandekam solchen Fragen auf den tiefsten Grund gehen kann, darf bezweifelt werden. Für das politische Schicksal der PASOK -Regierung ist das aber auch ziemlich egal. Spätestens nachdem der Serienheld in der Tiefe der Ägäis verschwunden ist, gehen die meisten Griechen davon aus'daß die Korruptionskapazität der PASOK die der einschlägig berüchtigten früheren Regierungspartei Nea Dimokratia längst erreicht oder übertroffen hat. Daß der Großbetrüger nicht sofort in Haft genommen wurde, daß ihm im Gegenteil 11 Tage Haftaufschub gewährt wurden, damit er angesichts der komplizierten und vielfältigen Anklagematerie seine Papiere ordnen könne, daß die Polizei auf rätselhafte Weise den Kontakt zu einer Person verlieren konnte, dem per Gericht das Verlassen des Landes untersagt war - all das heißt in den Augen der griechischen Öffentlichkeit: Die PASOK und Papandreou können es sich in dieser Affäre nicht mehr leisten, in ihrem Partei- und Regierungsladen reinen Tisch zu machen, ohne den Ruf des ganzen Unternehmens und seines Geschäftsführers kaputtzumachen. PASOK im Abseits

Aber das Ansehen der „sozialistischen Bewegung“ ist ohnehin kaum noch zu retten. Die Perspektive des Papandreou-Lagers ist heute ähnlich verzweifelt wie die Stimmung der Olympiakos-Fans, deren aggressive Sprechchöre „Hände weg von Koskotas“ seit letztem Sonntag verstummt sind. Während aber der einfache PASOK-Anhänger die Welt schlicht nicht mehr versteht, genießt der Olympiakos-Fan wenigstens noch die Tröstungen seines einfachen Weltbildes. Koskotas war eben doch vom Erzrivalen Panathinaikos gesteuert, wie es einige Insider von Anfang an vermutet hatten.

Eine moralisch angeschlagene Fußballmannschaft hat mindestens noch eine Außenseiterchance. Die heutige PASOK hingegen kann sich eine solche Chance - für die nächsten Wahlen gegen die Nea Dimokratia - beim besten Willen nicht mehr ausrechnen.

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