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Hamburgs Polizeiführung muß vor Gericht

Zweieinhalb Jahre nach dem „Hamburger Kessel“ wird nun endlich das Hauptverfahren und die Beweisaufnahme gegen die Polizeiführung begonnen Staatsanwaltschaft lehnte das Einstellungsangebot des Landgerichts ab / Auch Leiter der Bereitschaftspolizei will seine Unschuld beweisen  ■  Aus Hamburg: Kai von Appen

Zweieinhalb Jahre nach dem legendären „Hamburger Kessel“, der bis zu 15 Stunden andauernden Umzingelung von 861 BrokdorfdemonstrantInnen, wird nun vier Hamburger Polizeiführern wegen des Vorwurfs der Freiheitsberaubung endgültig der Prozeß gemacht. Am vergangenen Freitag lehnte die Staatsanwaltschaft ebenso wie der an die eigene Unschuld glaubende Leiter der Bereitschaftspolizei eine vom Landgericht in Aussicht gestellte Einstellung des Verfahrens ab.

Über eineinhalb Jahre - bis zum Januar 1988 - brauchten die Ankläger, bevor sie sich dazu durchringen konnten, Anklage gegen Hamburgs Polizeiführung zu erheben. Sie begründeten ihre zögerliche Haltung mit den „umfangreichen Ermittlungen“, die für dieses nicht alltägliche Verfahren notwendig gewesen seien. Wesentlich schneller arbeiteten dagegen die Zivil- und Verwaltungsgerichte. Schon wenige Monate nach dem „Hamburger Kessel“ erklärten sie diese einzigartige Polizeimaßnahme für „eindeutig rechtswidrig“. 200 DemonstrantInnen - lediglich diejenigen, die vor den Zivilgerichten geklagt hatten - wurde ein symbolisches Schmerzensgeld von 200 Mark zugestanden.

Die Kessel-Anklage wurde wohl auch deswegen erhoben, weil sich die seither amtierenden Hamburger Polizeipräsidenten Dieter Heering und Dirk Reimers sowie der ehemalige Innensenator Alfons Pawelczyk und sein Nachfolger Werner Hackmann (beide SPD) nicht genötigt sahen, zumindest disziplinarische Maßnahmen gegen das Quartett einzuleiten.

Während Polizeidirektor Klaus Rürup nach Auffassung der Staatsanwaltschaft in der Einsatz-Zentrale am Berliner Tor den Kessel geschmiedet haben soll, sollen Lothar Arthecker (Leiter der Bereitschaftspolizei), Heinz Krappen (Leiter des zuständigen Polizeibezirks Mitte) und Landespolizeidirektor Alfred Honka vor allem vor Ort für die Durchführung der Einsatzes verantwortlich gewesen sein.

Besonders Rürup ist in der Elbmetropole keine unbekannten Persönlichkeit. Er hatte sich beispielsweise damals das „Okay“ für den Kessel nach Erkenntnissen des Innenausschußes der Bürgerschaft nicht von seinem zuständigen Senator Rolf Lange eingeholt, sondern bei dessen Vorgänger Alfons Pawelczyk. Der Bundeswehr-Major Pawelczyk übernahm dann auch kurze Zeit später wieder den Innensenator-Stuhl, da Lange unter anderem wegen des Kessels seinen Hut nehmen mußte. Für Schlagzeilen sorgte Rürup auch am Buß- und Bettag 1987, als er unmittelbar während der Dohnanyischen Kompromißbemühungen an der Hafenstraße die Räumung im Alleingang anordnen wollte. Rürup wollte die Gunst der Stunde nutzen und die in Hamburg aus dem ganzen Bundesgebiet zusammengezogenen Einheiten von Bereitschaftspolizei (6000 BeamtInnen) nicht Däumchen drehen lassen. Lediglich eine Befehlsverweigerung in der Einsatzzentrale verhinderte ein Scharmützel am Hafenrand.

Trotz der Einzigartigkeit des polizeilichen Vorgehens während der Brokdorf-Demonstration auf dem Hamburger Heiligengeistfeld vom 8. Juni 1986 sah die zweite Große Strafkammer des Hamburger Landgerichts im Verhalten der Polizeiführer nur ein Bagatelldelikt. Mitte des Jahres bot der Kammer-Vorsitzende Hans-Joachim Röhse an, das Verfahren gegen die Zahlung einer Geldbuße von drei Monatsgehältern (rund 10.000 Mark) einzustellen. Die ominöse Begründung: „Die Schuld der Beschuldigten ist gering, weil ihr Fehlverhalten nicht mehr als ein Irrtum über die Rechtslage war.“ Selbst die bürgerliche Presse war über solch ein polizeifreundliches Rechtsverständnis des Richters entsetzt. Wie kann es kommen, daß Klaus Rürup als langjähriger Lehrer für Polizeirecht an der Landespolizeischule über derartiges verdrehtes Rechtsempfinden verfügt? fragte beispielsweise Spingers 'Hamburger Abendblatt‘.

Daß man demnächst Polizeiinterna über das Zustandekommen des Hamburger Kessels im Gerichtssaal erfahren wird, verdankt die Öffentlichkeit aber hauptsächlich dem Leiter der Alsterdorfer Bereitschaftspolizei Lothar Arthecker. Trotz eindringlicher Gespräche - unter anderem auf einer Segelgerte sich der gewichtige Bulle dem Einstellungsangebot des Landgerichts: „Lieber vorbestraft als für dumm erklärt“ oder „ich halte meine Knochen nicht für die Politiker hin“, verkündete der 58jährige wortgewaltig.

In der Tat hat Arthecker juristisch gute Karten. Funkprotokolle jenes Tages beweisen nämlich, daß Arthecker sehr frühzeitig an die Einsatzzentrale gemeldet hatte, daß man „die Falschen“ erwischt hätte. Statt der erhofften Autononem befanden sich überwiegend GewerkschafterInnen, Friedensbewegte oder kirchliche Gruppen im Kreis der Schilde. Darüber hinaus beschwerte sich der Bereitschaftspolizist darüber, daß der Abtransport der 861 ProtestlerInnen wegen Personal- und Fahrzeugmangel nur schleppend verlaufe, so daß es ratsam wäre, den Kessel aufzugeben.

Auch wenn Arthecker vorwiegend aus polizeitaktischen Erwägungen und weniger aus menschenrechtlichen Bedenken etwas gegen den Einkesselung hatte - die der Ex -Sozialsenator Jan Ehlers mit den Bildern aus den Chilenischen Stadien nach dem Putsch verglich -, stellte er trotzdem vor Ort dem GALier Michael Herrmann und dem Anwalt Hartmut Scharmer einen Dienstwagen zur Verfügung, damit diese zu Verhandlungen mit Rürup gelangen konnten. Vor den gesicherten Türen des Polizeipräsidiums allerdings endete die Mission der Unterhändler. Rürup weigerte sich, die von Arthecker entsandten Vermittler zu empfangen.

Den Schlußpunkt auf die von Landrichter Röhse ins Spiel gebrachte Version „Verbotsirrtum“ setzte jetzt die Staatsanwaltschaft. „Unter Brücksichtigung der von den Angeschuldigten angegebenen Erklärungen“ komme eine „Einstellung des Verfahrens ohne Beweisaufnahmen in der Hauptverhandlung nicht in Betracht“.

Wann das Kessel-Drama zur gerichtlichen Aufführung kommt, steht noch nicht fest. Ein Termin soll demnächt bekanntgegeben werden.

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