Deutschland, Deutschland

Zur Rede von Bundestagspräsident Jenninger  ■ K O M M E N T A R E

Daß von dieser Gedenkstunde des Bundestages nichts Gutes zu erwarten sein würde, war spätestens nach den Auseinandersetzungen um den vorgeschlagenen Redebeitrag von Heinz Galinski klar. Die Bundestagsmehrheit wollte keine unbequemen Erinnerungen, keine unkalkulierbare, möglicherweise sehr kritische Rede, sondern eine routinierte Gedenkstunde. Bundestagspräsident Jenninger hat daraus eine deutsche Feierstunde gemacht, die konsequent sendungsbewußt damit endet, daß gerade die Deutschen „die Pflicht zur aktiven Befriedung der Welt“ haben und eine „Garantenpflicht für das Überleben der Dritten Welt“. Das Gegenstück zu dieser „besonderen ethischen Verantwortung“ der Deutschen ist die Individualisierung der Frage der Schuld, die „jeder für sich selbst beantworten muß“.

Bemerkenswert an Jenningers Rede ist, was er in ihr nicht offen ausspricht: Er relativiert die Verbrechen der Nationalsozialisten nicht durch Vergleiche, er behauptet nicht, die Deutschen hätten nichts gewußt, und er spricht sich auch nicht dafür aus, einen Schlußstrich unter die deutsche Vergangenheit zu ziehen. Seine Rede wird skandalös durch die insgeheime Bewunderung für die - wie er es offen und ohne jede Einschränkung sagt - Erfolge nationalsozialistischer Politik und durch den latenten Antisemitismus, der seiner nahezu unreflektierten Geschichtsnacherzählung unterlegt ist. Jenninger spricht vom „Kampf zwischen Ariern und Juden“, von der „germanischen Rasse“ und vom „jüdischen Blut“, als seien das anerkannte Kategorien. Ausführlich referiert er, ohne einen eigenen Standpunkt zu beziehen, völkische antisemitische Vorurteile, und man merkt ihm das „Faszinosum“ in Sprache und Sprechweise an.

Jenningers Rede reiht sich so in den Diskurs der rechten Historiker ein - ein weiterer Schritt beim Versuch, die deutsche Identität als selbstbewußte Großmacht zu rekonstituieren. Daß dazu ausgerechnet das Gedenken an die größten Verbrechen der Deutschen und ihres Staates mißbraucht wurde, ist nicht nur besonders perfide, sondern zeigt, wie weit die Konservativen schon „aus Hitlers Schatten“ getreten sind.

Oliver Tolmein