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„Rollende Särge“ im Norden Namibias

Südafrikanische Armee mit gepanzerten Fahrzeugen in Nordnamibia allgegenwärtig / Swapo: Südafrika setzte Terroranschläge in Szene / Rechtsanwälte berichten von groben Menschenrechtsverletzungen  ■  Aus Nambia Knut Peterson

Namibas nördliche Grenze zu Angola scheint verlassen. Dort, in der Nähe von Ruacana, wo vor vier Monaten die suedafrikanische Armee durch den Beschuß angolanischer Migs zwölf weiße Soldaten verlor - schwarze Opfer werden statistisch nicht erfasst - herrscht heute Ruhe, aber kein Frieden. Für die südafrikanischen Soldaten geht es allerdings weniger darum, ein fremdes Land zu verteidigen. Vielmehr halten sie sich einen Feind vom Leibe, der auch und vor allem ein innerer ist.

Salven aus Maschinengewehr durchreißen die nächtliche Stille in Oshakati, der rund 50 Kilometer von der Grenze entfernten, wichtigsten Garnisonsstadt im Norden Namibias. Stunden später, im Morgengrauen, erschüttert eine heftige Explosion die Stadt. Über das „Kriegsgebiet“ im Norden ist von acht Uhr abends bis sechs Uhr morgens eine Ausgangssperre verhängt. „Wir wollten sie Ende November aussetzen, aber die Terroristenakte sind mit unverminderter Intensität weitergegangen.“ Oberst Drever von der südafrikanischen Armee zählte „allein im September 38 Bombenanschläge“. Verantwortliche der Unabhängigkeitsbewegung Swapo (South-West African People's Organisation) bestreiten diese Darstellung. „Wir haben den von uns einseitig erklärten Waffenstillstand seit dem 1.September strikt eingehalten, aber die Südafrikaner setzen Terrorakte in Szene, um uns im Ausland zu diskreditieren.“

Tatsache ist, daß die seit Mai in Gang gekommenen Verhandlungen über eine friedliche Zukunft im südwestlichen Afrikas im nordnamibischen Ovamboland noch keinerlei Folgen gezeitigt haben. Zuletzt begann am Freitag in Genf die achte und voraussichtlich letzte Runde der Namibia-Verhandlungen zwischen Angola, Kuba und Südafrika.

Seit 22 Jahren führt die Swapo, deren Kämpfer sich fast ausschließlich aus den Reihen des Ovambostammes rekrutieren, ihren bewaffneten Kampf gegen die südafrikanische Besatzungsmacht. „Für uns hat sich trotz der Friedensgespräche in den vergangenen Monaten noch nichts zum Besseren verändert“, bestätigt Bischof Kleopas Dumeni von der lutherischen Kirche in Ondangwo. „Die Truppen Pretorias haben sich aus dem Süden Angolas zurückgezogen, aber im Norden Namibias sind sie mehr denn je präsent.“

Im Norden Namibias herrscht über Himmel und Erde noch immer die südafrikanische Armee. Unter rein militärischen Gesichtspunkten ist der Guerillakampf der Swapo gescheitert. Nach zwei Jahrzehnten bewaffneter Konfrontation ist es der Befreiungsbewegung noch immer nicht gelungen, in Namibia „zwei, drei, viele Ovamboländer“ zu schaffen, das heißt, ihren Guerillakrieg in die anderen Provinzen des Landes zu tragen. Stattdessen operiert sie mit bedeutsamen Verlusten aus dem südlichen Angola und sieht sich gezwungen, mehr und mehr Sprengstoffanschläge zu verüben. Für Hinterhalte und andere punktuelle militärische Operationen fehlt ihr sowohl der Spielraum als auch die operationnelle Schlagkraft. Denn die südafrikanische Armee kontrolliert das militärische Terrain. Ihr Handikap der starken Truppenkonzentration charakteristisch für Besatzungstruppen im Feindesland - wird durch hohe Mobilität ausgewogen: Die wegen ihrer länglichen Metallkabinen und dem ungewöhnlichen Radstand als „rollende Särge“ bezeichneten gepanzerten Fahrzeuge der südafrikanischen Besatzungsmacht sind auf den Straßen und in der Savanne Nordnamibias allgegenwärtig. Sie patrouillieren nahe der Grenze, um Infiltrationen zu verhindern und kontrollieren ein Asphaltnetz von mehr als 300 Kilometern mit weit höherer Wirksamkeit als fest eingerichtete und mithin erwartbare Straßensperren.

Im südafrikanischen Militärcamp von Oshakati stellt sich denn auch weiterhin ungetrübte Selbstgewißheit zur Schau. „Sieger hauen nie ab, und wer abhaut, ist kein Sieger“, steht in großen Lettern auf der Mauer des kleinen Kommandostabgebäudes. Im Schatten blühender Bougainvilleasträucher leben die südafrikanischen Offiziere mit ihren Familien in einer getrennten Welt: eigene Bankfilialen, ein für „whites only“ reservierter Club und das schwarze Heer allmorgendlich anschwärmender Hausdiener, Gärtner und Kinderfrauen halten die Illusion gewohnter „Normalität“ aufrecht. Aber die Stacheldrahtballen, der wohlbewachte Funkmast und die aus Sandsäcken hinter jeder Villa konstruierten Luftschutzbunker verraten die Wirklichkeit eines bedrohten Vorpostens. „Natürlich machen uns die Verhandlungen über die namibische Unabhängigkeit nervös“, gesteht der schnauzbärtige Clubverwalter ein. „Aber ich geb‘ darauf nicht viel: Die Kubaner sind immer noch auf der anderen Seite und die Swapo bombt weiter. Früher oder später werden unsere Jungs wieder rüber gehen.“ Rüber nach Angola, versteht sich.

Die alten Haudegen der südafrikanischen Armee haben zu lange schon das Denken vermieden, um sich heute im Umdenken zu versuchen. Aber unter den jungen Rekruten und Wehrdienstleistenden geht langsam die Nachricht um, daß „wir hier bald abziehen werden“. Ein Blondschopf aus Kapstadt sagt nachdenklich: „Auch wenn wir militärisch gewinnen, die Schlacht um die Herzen haben wir lange schon verloren.“

Nach Angaben eines von namibischen Anwälten ins Leben gerufenen und von den Kirchen unterstützten „Menschenrechtszentrums“ haben südafrikanische Soldaten allein in den vergangenen vier Monaten rund dreihundert schwere Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung des Nordens begangen. Das Spektrum reicht von rohen Gewaltakten über willkürliche Festnahmen bis zur Vergewaltigung und Mord. „Nichts als Propagandalügen“, erklärt in der namibischen Hauptstadt Windhoek Oberst As Kleynhans.

Vom 8.-10.12.1988 wird in Bonn eine Konferenz der Europäischen Kampagne „Beendet Südafrikas Aggression gegen Mosambik und Angola“ stattfinden. Informationen und Anmeldung bei: Ecasaama-Sekretariat c/o Issa, Blücherstraße 14, 5300 Bonn 1,

Tel. 0228/213288

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