: Solidarnosc enttäuscht-betr.: "Kritik an Thatchers Polen-Besuch", taz vom 7.11.88
betr.: „Kritik an Thatchers Polen-Besuch“, taz vom 7.11.88
Rolfs Versuch, den Solidarnosc und Walesa gegen die Kritik der Briten zu verteidigen, überzeugt mich nicht. Der Hinweis auf die bedauerliche Tatsache, daß es um die eigene Oppositionskultur der britischen Arbeiterbewegung schlecht bestellt ist, kann doch nicht rechtfertigen, daß die Solidarnosc und Walesa mit dem Erzfeind der Arbeiter und des Sozialismus paktieren. Vor einiger Zeit haben wir Walesa auch George Bush, den zweiten Repräsentanten des amerikanischen Imperialismus, umarmen sehen. Ich kann irgendwie verstehen, daß Staatsvertreter wie Gorbatschow und Jaruzelski mit Staatsvertretern wie Reagan und Thatcher verhandeln müssen; aber Walesa ist kein Staatsvertreter. Er sollte eher mit den britischen Gerwerkschaftern diskutieren.
1981 und zwei, drei Jahre danach, war ich auch eine begeisterte Sympathisantin der Solidarnosc. Ich dachte damals, die Solidarnosc würde in Polen den sogenannten realen „Sozialismus“ der ausbeuterischen Parteibonzen und Bürokraten beseitigen und einen echten Sozialismus der Werktätigen errichten. Aber seit einiger Zeit bin ich enttäuscht. Die Solidarnosc und Walesa wollen keinen echten, proletarischen Sozialismus, sie wollen die Staatsbetriebe nicht unter die Kontrolle und Regie der „assoziierten Produzenten“ bringen, sondern sie, wie auch Rolf selbst indirekt feststellt, privatisieren. Im Klartext, sie wollen in Polen (wie die KP in Ungarn) den Kapitalismus restaurieren, 100 Prozent - in der illusorischen Hoffnung, daß sie dadurch den Lebensstandard der Konsumnarren der BRD erreichen würden. Das ist der wahre Grund, warum Walesa Bush und Thatcher umarmt. (...)
Brigitte Sommer, Köln
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