: Deutschtümelei-betr.: Kommentar: "Entgegenkommen", taz vom 7.11.88
betr.: Kommentar: „Entgegenkommen“, taz vom 7.11.88
Auf Seite 4 lese ich die Überschrift: „Entgegenkommen 'Prawda‘ spricht für Sowjetdeutsche“. Bereits Böses ahnend, lese ich dennoch weiter.
Schon der erste Satz entführt mich endgültig in eine andere, fremde Zeitungswelt. Da spricht ein „sowjetischer Bürger deutscher Nationalität“ zu mir. Wie soll ich das verstehen? Vielleicht meint die Kommentatorin einen sowjetischen Staatsangehörigen, dessen Vorfahren, Vater und Mutter etwa, deutsche Staatsangehörige waren? So kann es nicht gemeint sein, denn im nächsten Satz lese ich von „deutschen Bürgern in Kasachstan, Mittelasien und Sibirien“.
Was soll dieses Verwirrspiel mit „deutschen“ und „sowjetischen“ Bürgern und mit „Nationalität“, die irgendwie immer „deutsch“ bleibt in diesem Kommentar.? Will die taz sich unter das Rudel derer mischen, die die Volksgenossen fern im Osten nun endlich doch von der Knute des Kommunismus befreien wollen? Nicht mehr nur die taz, sondern endlich: „Auch die Bundesregierung hofft, daß den zwei Millionen Bürgern deutscher Nationalität mit... religiösen Freiheiten das Daheimbleiben erleichtert wird“. Schade nur, daß sich die sogenannten „Sowjetdeutschen“ dieser großen Koalition nicht anschließen. Die wollen nämlich gar nicht daheimbleiben, weil es da inzwischen so schrecklich „dicht besiedelt“ ist. Nein, dann schon lieber eine „deutsche Republik jenseits des Urals“.
Und B.Kerneck entblödet sich nicht, nach ihrem Griff in die Kiste des revisionistischen Wortschatzes die Prüfung dieser Forderung nach „sowjet-deutscher Autonomie“ durch die sowjetischen Behörden, als einen „Schritt zur Wiedergutmachung“ zu begrüßen.
So dumm-dreist schreibt keineR daher, wenn nicht am Ende genau diese Mischung aus begrifflicher Verwirrung und erzreaktionärer Deutschtümelei herauskommen soll. Erzähle mir also keineR, das sei alles gar nicht so gemeint gewesen.
Und das alles, drei Tage, nachdem die taz, in einem „Prozeß der Grenzziehung“, laut eigenem Bekunden den „kleinsten gemeinsamen Nenner“ gefunden hat.
T. Wendt, Berlin 62
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