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Diktator Ceausescu in Ost-Berlin

Protestag gegen Ceausescu in Ost und West / Auch in der DDR / Nach Todesdrohungen gegen rumäniendeutsche Exilschriftsteller auch Drohungen gegen Mitglieder des Komitees „Freies Rumänien“ in Budapest  ■  Von Erich Rathfelder

Berlin (taz) - Kurz vor seinem heutigen Besuch in Ost-Berlin hat der rumänische Diktator über 30 Bürger des Landes verhaften und Hunderte verhören lassen. Das berichtet ein taz-Mitarbeiter aus dem rumänischen Kronstadt (Brasov). Um den Informationsfluß über die Lage aus der Stadt zu unterbinden, in der vor einem Jahr eine Hungerrevolte stattfand, wurden am Dienstag kurzerhand die Telefonleitungen ins Ausland unterbrochen. „Geht ins Stadtzentrum und spaziert dort herum“, hieß die Parole unter den Kronstädter Arbeitern, die am Montag ausgegeben worden war. Angesichts der 20.000 bewaffneten „Sicherheitskräfte“ in und um die Stadt war nichts mehr möglich, hieß es aus Kronstadt. Inzwischen wurde auch bekannt, daß die beiden rumänischen Schriftsteller Dan Petrescu und Liviu Gangiopol sowie der Bürgerrechtler Radu Filipescu den von Intellektuellen aus Ost und West erstellten Aufruf für den „Aktionstag Rumänien“ unterschrieben haben.

Trotzdem herrschte „Ruhe im Land“ des „Conducators“. Dagegen protestierten am Dienstag Tausende von Menschen in Ost und West gegen den Terror des Regimes, gegen die Dorfzerstörungen, gegen die Unterdrückung der Minderheiten und die schlechte Versorgungslage in Rumänien. In Ost-Berlin versammelten sich über 500 Menschen in der Gethsemane -Kirche, in Budapest versuchten 1.000 Demonstranten zu der von ungarischen Polizeikräften abgeriegelten rumänischen Botschaft vor zudringen. Im polnischen Breslau (Wroclaw) sammelten Fortsetzung Seite 2

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Demonstranten Unterschriften gegen den Import von Lebensmitteln aus Rumänien. In Moskau unterschrieben 20 Bürgerrechtler eine Erklärung, in der der „Persönlichkeitskult“ Ceausescus mit dem um Stalin verglichen wurde.

Auch im Westen sorgten zahlreiche Aktionen von Menschenrechtsgruppen und Exilrumänen für eine vom rumänischen Geheimdienst argwönisch beäugte Öffentlichkeit. „Ich bin zu groß für ein so kleines Volk“, rief der Pappmachekopf des Diktators zu Hunderten von Zuschauern vor der Gedächtniskirche in Berlin. In München demonstrierten 700 Deutsche, Ungarn und Rumänen gemeinsam gegen die Minderheitenpolitik des Diktators. Vor dem Fremdenverkehrsamt in Wien zerstörten 40 Demonstranten Kartenhäuser als Symbol für ein Dorf, das dem Umsiedlungsprogramm zum Opfer fallen soll. Auch in London, Kopenhagen und Paris wurde vor den rumänischen Botschaften protestiert.

Proteste auch in der DDR: In Arbeitsgruppen der Umweltbibliothek und des Friedrichsfelder Friedenskreises hatten schon seit einem Jahr Diskussionen über Rumänien stattgefunden. So ging es bei der Diskussion am Dienstag nicht nur um die Situation in Rumänien, sondern vor allem um die Distanz zu den Reformbestrebungen in der Sowjetunion, die die Führungen in der DDR und in Rumänien gleichermaßen auszeichnet. Auch in Dresden hatten sich schon seit einem Monat mehrere hundert Menschen bei Veranstaltungen und Ausstellungen über Rumänien informiert. Hier hatten sich auch etablierte Künstler und Schriftsteller wie Gerd Papenfuß, Jürgen Rennert und die Photographin Helga Paris engagiert. Im Vorfeld dieser „Aktionstage Rumänien“ zeigten die Sicherheitsorgane Nervosität und hatten vor einer „Einmischung in die Außenpolitik der DDR gewarnt“. Schon am 14.Oktober war den rumäniendeutschen Schriftstellern Herta Müller und Richard Wagner die Einreise nach Dresden verweigert worden.

Wie erst jetzt bekannt wurde, haben Mitglieder des Komitees „Freies Rumänien“ in Budapest Anrufe erhalten, in denen sie mit dem Tode bedroht wurden. Seit Montag liegt auch in der taz eine Postkarte vor, auf der in rumänischer Sprache Konsequenzen bei weiterer kritischer Berichterstattung angedroht werden.

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