: Die Ostsee darf weitersterben
Skandinavische Länder einigen sich auf ein Umweltschutzprogramm, das keines ist ■ Von Reinhard Wolff
Helsingör (taz) - Unter dem Eindruck von Killeralgen und Robbensterben sie im Sommer wurde sie im Sommer angesetzt: die norwegische Sonderkonferenz zu Umweltfragen. Ein großer Wurf sollte sie werden, eine gemeinsame Anstrengung Skandinaviens zur Rettung der Nord- und vor allem der Ostsee. Was am Dienstag und Mittwoch im dänischen Helsingor davon übrigblieb, kommentierte nicht nur ein Greenpeace -Sprecher mit „absolut enttäuschend“.
Beschlossen wurde ein Umweltprogramm, das den Namen nicht verdient: Der Ausstoß von Schwermetallen und Nährsalzen in die Meere soll innerhalb der nächsten sechs Jahre halbiert werden. Genau das war aber schon im Rahmen der Konvention von Helsinki und London für Ost- und Nordseeanrainerstaaten vor einem bzw. vor zwei Jahren beschlossen worden. Genau das halten Umweltforscher für ungenügend, da damit allenfalls das Sterben des Meeres langsamer fortschreiten werde.
Greenpeace, sowie mehrere hundert Fischer aus Dänemark und Schweden hatten vor dem Tagungshotel zu Land und zu Wasser gegen die Verseuchung des Meeres demonstriert. Am Dienstag hatte es fast danach ausgesehen, als ob die Parlamentarier des Nordischen Rats - unter diesem organisatorischen Dach der fünf skandinavischen Länder und Finnlands fand die Konferenz statt - es sich und den Regierungen nicht so einfach machen wollten.
Der von den Umweltministerien vorgelegte Plan wurde als skandalös kritisiert. Eine Mehrheit für die Forderung nach strengeren Maßnahmen schien sicher. Am Mittwoch dann die überraschende Abstimmung: Mit 42 zu 40 Stimmen wurde der Nicht-Plan akzeptiert. „Die Sozialdemokraten sind umgefallen“, grollte Lille Gyldenkilde, Vertreterin der dänischen Linkssozialisten im Umweltausschuß. Die - auf dem Papier unabhängigen - Parlamentarier erlagen dem auf sie ausgeübten Druck: Es wäre schwer zu vermitteln, wenn sozialdemokratische Vertreter im Nordischen Rat nicht das absegnen, was ihre Genossen in den Regierungszentralen beschlossen hätten.
Das, was gerade noch ein Skandal war, wurde einen Tag später zumindest zu einem „akzeptablen Kompromiß“, weil die Parteiräson es so wollte. Statt wirklicher Eingriffe und einem konkreten Programm eine bloße Aufforderung zum Handeln. Wie die - schon niedrig genug angesetzten - Ziele verwirklicht werden sollen, bleibt den einzelnen Ländern überlassen.
Da wurde der Bösewicht vor allem im Nachbarland entdeckt: Für die Schweden die dänischen Bauern, die norwegischen Ölplattformen und die finnische Industrie. Für die Dänen die Industrie und die kommunalen Abwässer in Norwegen und Schweden. Für die Norweger wieder die schwedischen und dänischen Bauern, die mit ihren algenfütternden Nährsalzen. Und für die Finnen die reichen Nachbarländer.
Gerade was besonders gefährdete Meeresteile wie das Kattegatt angeht, müßten die Küstenstaaten rasch handeln. Hier wird es ganz entscheidend sein, was Dänemark und Schweden unternehmen, um das weitere Sterben dieses Meeres zu verhindern. Hier ist unterhalb einer Tiefe von 20 Metern schon seit Jahren jedes Leben vernichtet. Hier traten zuerst die Killeralgen auf. Meeresforscher haben Angst, wenn sie an das kommende Frühjahr und das nächste explosionsartige Algenwachstum denken.
Die konservative dänische Regierung verschiebt ernstzunehmende Umweltgesetze von Jahr zu Jahr. Rücksicht auf die bäuerliche Wählerschaft ist ein Hauptgrund. Und Schweden? Daß dort vor zwei Monaten „Umweltwahlen“ stattgefunden haben, kann man kaum noch glauben.
Der in Helsingor verabschiedete Nicht-Plan geht ganz entscheidend auf die schwedische Umweltministerin Birgitta Dahl zurück. Ausgerechnet die als die „eigentlichen Grünen“ angetretenen schwedischen Sozialdemokraten als eifrige Pusher des kleinsten gemeinsamen Nenners. Schwedische Diplomaten bemühen sich dafür in New York, wieder eine Umweltkonferenz nach Stockholnm zu bekommen. Das bringt mehr Prestige und ist billiger als neue Kläranlagen. Milliarden müßten nach Meinung von Umweltforschern sofort in allen Küstenländern investiert werden, um die Ziele des Umweltplanes bis 1995 zu realisieren. Von diesen Milliarden ist aber in Haushaltsplänen und öffentlichen Kassen nichts zu sehen. Derweil sind die Böden an Nitraten und anderen Nährsalzen übervoll, werden aus diesem Reservoir die Algen noch überreichlich Futter bekommen. Die Fischer, die in Helsongor demonstrierten, wären nicht schlecht beraten, sich nach einem anderen Job umzusehen.
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