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Familienkrach am Totensonntag

■ Bei K.s nahm der gestrige Familienbesuch bei Onkel Ernst ein unerwartetes Ende

Ernst K. kriegt Besuch. Am 20.11. kriegt Ernst K. immer Besuch. Familie K. macht sich ausgehfein. Rote Nasen, Novemberhusten, Sonntagsanzug, Kurtchen zieht die feine Clubjacke an. Elvira darf das Blumengesteck für zwölffuffzig mit Tannenzapfen dran tragen. Der Verlobte von Petra hat leere Hände, macht dafür aber ein nicht unpassend feierlich betretenes Gesicht. Gottseidank hakt sich Tante Hertha bei ihm unter, daß man wenigstens weiß, wohin mit den Händen.

Aufbruch. Mit gemessen schleppendem Gang geht es schweigend und fröstelnd die paar Schritte um die Ecke zu Ernst. Erst durch das Gittertor, dann an der kleinen Backstein-Kapelle vorbei, dritte Reihe links. Dann steht alles um Ernst K. herum, die Herren haben die Hände vor dem Hosenlatz verschränkt, Tante Hertha hat erstens einen Garten und zweitens schon immer einen Sinn fürs Praktische und kramt das Schäufelchen aus dem Efeuversteck hervor. Elvira packt derweil das Gesteck aus, drückt Petras Verlobten das Papier in die Hand und Ernst das Gesteck aufs Grab. Das hätte sie aber besser nicht tun sollen: „Um Gottes willen, doch nicht auf die schönen Erika!“ „Welche Erika? Wo denn sonst hin, wenn nicht auf das Unkraut da?“ „Unkraut? Unkraut nennst Du das!“ ruft Tante Hertha und hebt drohend das Schäufelchen in Elviras Richtung. „Das ist kein Unkraut, das ist schön und widerstandsfähig und immer Ernsts Lieblingsblume gewesen!“ „Bitte, bitte, machs doch selber, wenn Du alles beser weißt“, entgegnet Elvira beleidigt und fügt giftig hinzu: „Im nächsten Jahr kannst Du froh sein, wenn Dir überhaupt noch jemand so'n teures Gesteck bringt. Dann liegst Du nämlich auch unter der sogenannten Erika neben Deinem Ernst.“ Tante Hertha läßt das Schäufelchen sacken, fängt an zu weinen und stochert in der Erika rum, Petras Verlobter nestelt immer noch verlegen mit dem Papier herum und flucht innerlich auf die Friedhofsverwaltung und die fehlenden Papierkörbe. Kurtchen pladdert mit einer Gießkanne vom Nachbargrab herum. Elvira macht auf dem Absatz kehrt: „Komm Petra, wir fahren.“

Drei Reihen weiter predigt Pastor D. in der kleinen Kapelle, daß alles irdische Leben nur ein Durchgangsstadium ist und der Tod nur Aufbruch zu einem seligeren Weiterleben. Nur was Onkel Ernst denkt, habe ich nicht herausbekommen.

K.S.

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