: Anmache ist kein Flirt
■ Gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz will die Frauen-Gleichstellungs-Stelle mit einem Info-Faltblatt mobilisieren / Frauen sollen ihr Schuldbewußtsein verlieren
„Ich bin an meinem Arbeitsplatz noch nie sexuell belästigt worden“, witzeln mit bedauerndem Unterton gelegentlich die Männerkollegen, wenn es um Sexismus gegenüber Kolleginnen in Büros und Fabriken geht.
Seitdem die Affaire um den Bonner Abgeordneten Hecker, der als „Busen-Grabscher“ in die Geschichte der grünen Partei einging, medienwirksam die Runde machte - damals gab es kurzfristig sogar T-Shirts mit dem Aufdruck „don't hecker me“ - „seitdem hat sich an der Wirklichkeit in Betrieben und Verwaltungen wenig geändert“, erklärte am Freitag vor JournalistInnen die Bremer Frauen-Beauftragte Ursula Kerstein, die jetzt „den Zipfel von der Decke wegziehen“ will, unter der das Problem gemeinhin gehalten wird.
Immerhin hat eine Infas-Untersuchung im Verlaufe von nur zwei Jahren bundesweit 200.000 Frauen gezählt, die ihr Arbeitsverhältnis von sich aus gekündigt
haben, weil sie sexuell belästigt wurden und keinen anderen Ausweg sahen.
Denn Anmache funktioniert von oben nach unten, vom Mann zur Frau und gewöhnlich risikolos: „Komplimente zurückzuweisen ist für Frauen nicht üblich, und wer als prüde Zicke dasteht, setzt sich noch mehr dem betriebsinternen Spott aus“, erklärte Kerstein die Klemme der so anzüglich Umworbenen.
„Sexuelle Belästigung“ - das sind nicht nur direktes Antatschen, Anzüglichkeiten oder direkte Einschüchterungen und Drohungen, sondern auch „unnötiger Körperkontakt, zweideutige Witze, unaufgefordertes Zeigen pornografischer Bilder, exhibitionistische Handlungen, unanständige Gesten“. Das alles ist dem neuen gelben Faltblatt der Frauen -Gleichstellungs-Stelle (ZGF) zu entnehmen, das ab sofort in Betrieben und Personalbüros, bei ÄrztInnen und Gewerkschaften verteilt wird und in der
ZGF angefordert werden kann.
„Wir wollen hauptsächlich den Frauen ihr Schuldbewußtsein nehmen“ betonte ZGF-Mitarbeiterin Brigitte Melinkat aus der Erfahrung heraus, daß nur die wenigsten ratsuchenden Frauen den Mut zu offenen Konsequenzen gegenüber aufdringlichen Kollegen finden. Denn die Beweislast in juristischen Verfahren liegt bei der Frau, die sich unversehens als 'Störerin des Betriebsfriedens‘, Schadenersatzpflichtige wegen 'Verleumdung‘, Gekündigte wiederfinden kann. Nur wenn mit der „augenzwinkernden Kumpanei“ der Kollegen, auch der Betriebsräte, ebenso Schluß gemacht werde wie mit dem Schweigen der Frauen, könnten Frauen den Mut aufbringen, miteinander zu reden und etwa Versetzung oder Abmahnung der Kollegen zu fordern. S.P
Kontakt für Frauen, die Rat gegen Anmache suchen: ZGF, HB, Tel. 0421-4963133 oder BHV, 0471-414081
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