Swinging Metropolis

■ 6. Mhh...arsch!

„In den Hof ergoß ein Musikcafe, das belauschte ich oft, entführende Weisen. Manchmal, wenn ich nachts in mein Schlafzimmer trat, ertönte Musik. Ich öffnete das Fenster, ich löschte das Licht. Ich stand und atmete den Laut...“ Also sprach Dr.Gottfried Benn, der direktemang über der Apotheke Ecke Mehringdamm/Yorckstraße wohnte & praktizierte. Gewißlich quollen die Klänge aus dem Germania-Palast, einem Nachfolgelokal des letzthin breitgetretenen Belle -Alliance-Theaters, dessen Geschichte sich präzis aufbereitet in Lothar Uebels vergnüglichem Buch Viel Vergnügen findet. Würde Benn heut pennen können zum synthetischen Stampfen aus der Diskothek Dachluke an gleichem Ort, zur neuen Marschmusik?

Hundert Jahre zurück nur, und die alten Uniformierten lassen die preußische Sau raus. In ebenfalls längerer Friedenszeit, was so manchem MöchtegernHelden gar nicht behagt. Anstelle der Kanone muß wenigstens die Pauke donnern. Beunruhigt von derart kriegsfreier Ruhe kommt Benjamin Bilse als eine Art Liegnitzer Bombe nach Berlin und komponiert sein opus No.37 „Mit Bomben und Granaten“. Dem 64jährigen ist Erfolg beschieden mit dem Mordsstück, wie ein Zeitgenosse schwärmt, „schneidig, mächtig, voller Lautstärke...“ Krach, wohinste deine Lauscher streckst, seit den siebziger Jahren schon im Morgengrauen. Zoologischer Garten, Treptow & Hasenheide sind die Zentren sommerlicher Frühkonzerte im Freien. Vattern sucht einen Tisch zu ergattern, möglichst nah an der vibrieren- den Orchestermuschel, Muttern kämpft um heißes Wasser fürn Kaffee, die Gören lassen sich verblöden. Zum Krawall des SchlachtenTongemäldes, „entschieden dazu bestimmt, dem kriegerischen Sinn des Volkes zu schmeicheln, der nur des Anlasses bedarf, um in bedenklicher Art hervorzubrechen“ (Bogdan Krieger), spielen sie die Metzeleien von Düppel, Sedan oder Königgrätz nach. Derweil hocken einige von der Nacht übriggebliebene am Rande, um, mißtrauisch beäugt, ihre Sause um noch'n paar Schnäpperken zu bereichern.

Von einem „Militarismus, der wahnsinnig geworden ist“, wird Jahrzehnte später, kurz vor dem Ersten Weltkrieg, ein US -Diplomat sprechen. Bis dahin wechselt noch so manche Mode, nie aber jene des Bunten Rocks. Paradiesvögeln zur Bumsmusik öffnet sich freudig die Damenwelt, ganz wild ist sie auf ihre soldatischen LamettaLaffen, die sogenannten „Chapeaux“, und zwischendrin ist mal Polka in. Gleich taucht ein Polkahut auf, und die Matthäi-Kirche wird zur Polkakirche. Manischer Höhepunkt modefimmeligen Schielens nach dem exotischen Süden darf der Fall Gungl geheißen werden. Der immsense Erfolg einer Steiermärker Big Band, die außer dem üblichen Tschingdarassabumm auch noch unisono singt & jodelt, bereitet den Weg. Als Militärkapellmeister Josef Gungl aus Graz anreist, kürt man (oder ausnahmsweise mal: man/frau) ihn sogleich zum Michael Jackson. Mit Bruder Johann & seinen vierzig Musikern versetzt er die Stadt in „Gungl-Fieber“. Ein Mann der Superlative, „Militärmusikwunder“, Kompositeur von Marsch- & Tanzmusik, dirigiert er im Lager zu Olmütz ein Mammutkonzert mit 36 Kapellen; er tourt durch die Unionsstaaten von Nordamerika; der russische Zar lädt ihn ein. Doch immer wieder kehrt er zurück in seine Wahlheimat Berlin, wo die Leute ausflippen, werden sie seiner anhörig. Zwar handelt es sich hier auch um Militärschmetterei, aber eben österreichische. Mit dem Piece „Mein Gruß an Berlin“ biedert er sich an - flott zwar, dennoch eher bier- & kaffeeselig denn zum Dienstgebrauch der Truppe geeignet. Tatsächlich wird „bei Gungl und vor Gungl dieses Berlin beinahe gemütlich. Man lernt dort - für Augenblicke wenigstens - die Kälte und Glätte des norddeutschen Charakters vergessen. Das Publikum, welches sich nicht für einen Liszt oder andere Musikhelden begeistert, das belohnt Gungl mit seinen leichten, lieblichen Melodien.“

So versöhnlich klingt er aus, dieser zackig bleckende Theil. Ist auch noch weit & breit kein Swing in Sicht, trennen uns noch Äonen von den MarschAdaptionen eines Glenn Miller - als jazzige Vorform existiert jenseits des Teiches bereits der Ragtime mit ebenfalls militärischen Anklängen. Neues kündigt sich an & neues Altes, Vorboten umfassenden amerikanischen Einflusses. Von dorten kehrt auch die Polka zurück. Mit anderem Drive, unter dem Titel „Lieder und Tänze von den Baumwollfeldern“ heißt sie jetzt Cake Walk. Und kurz vor der Jahrhundertwende besucht US-Marschkönig John Philip Sousa die Stadt.

Norbert Tefelski