: Berlin kulturlos
■ Mit Konzert, Lobeshymnen und Fanfarenstoß wurde Berlin am Wochenende von der Senatskultur entsorgt / E88 ist vorbei, das Leben pulsiert weiter
Mit Pauken und Trompeten wurde am Sonnabend im großen Foyer der Philharmonie der Kulturhauptstadt Berlin der Abschied gegeben. Über 55 Millionen Mark hat das gigantische PR -Spektakel für die Halbstadt insgesamt gekostet.
Mit den Worten „Glückauf, weiter nach Paris!“ übergab der Regierende Diepgen die Standarte mit dem Titel „Europäische Stadt der Kultur“ an den Pariser Bürgermeister Jacques Chirac, der eigens zur Übernahme der Kulturstaffel nach Berlin gereist ist. Paris wird 1989 als Kulturhauptstadt Europas glänzen. Im Gegensatz zu Berlin, das 750-Jahr-Feier und E88 über zwei Jahre hinweg ausdehnte, feiert Paris ihr Kulturspektakel zusammen mit der 200-Jahr-Feier der Französischen Revolution 1989 in einem Aufwasch.
Bei der Festveranstaltung zum Abschluß des Kulturjahres in der Philharmonie betonte Chirac, daß er im vergangenen Jahr den sowjetischen Parteichef Gorbatschow erneut darauf hingewiesen habe, daß das Fortbestehen der Berliner Mauer „unakzeptabel“ sei. Berlin, „im Herzen Europas und immer noch eine junge Stadt“, habe im zu Ende gehenden Jahr den Beweis einer bemerkenswert kreativen Metropole der Kunst und der Literatur erbracht. Auch Bundesaußenminister Genscher zeigte sich bei der Veranstaltung beeindruckt von der „Aufgeschlossenheit und Kreativität der Berliner“, ihrem „Kunstverständnis“ und ihrem kulturellen Engagement.
Diepgen dankte allen am Kulturstadtprogramm Beteiligten und versprach optimistisch, daß damit die Kulturstadt Berlin nicht abgeschlossen sei. „Was bleibt von diesem Jahr, ist die Bereitschaft zum Experiment, der Werkstattcharakter und vor allem der Wille zum kulturellen Austausch über alle politischen Grenzen hinweg. Berlins Kultur lebt und wächst weiter - bereichert durch dieses europäische Kulturjahr, befruchtet und beschenkt.“
Unbefruchtet zeigt sich nach wie vor die BVV Wilmersdorf von einem Geschenk des Kulturjahres. Die Diskussion um Vostells Cadillac konnte auch von der E88-Fanfare nicht übertönt werden. Berlins Kulturchef Hassemer appellierte nochmals an die BVV, nicht von ihm zu verlangen, die Plastik abzubauen. Er betonte in diesem Zusammenhang die „beunruhigende und doch nicht aggressive Wirkung, (die) eine zwingende ästhetische Situation erzeugt“.
taz/dpa
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