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Was hat Gewerkschaft mit Glück zu tun?

■ War schon immer alles bestens mit der politischen Bildung, mit Seminaren und Bildungsurlauben? Oder was hat sich in den 80er Jahren verändert? taz-Gespräch mit vier politischen Bildnern zu Inhalten, Methoden und Träumen bei ihrer Arbeit

Theo Jahns: Die Bremer Bildungspraxis ist einmalig, innovativ für die Weiterbildung! Das ist zwar in den 80er Jahren rapide gebrochen worden, da ist aus der Bildung eine Quantifizierungsoffensive geworden - unter dem Druck der Massenarbeitslosigkeit - aber dennoch gibt es uns!

Hans-Georg Isenberg: Es gibt aber auch so was wie ein Totlaufen...

(Allgemeines Protestgemurmel)

Jahns: Überhaupt nicht! Der BU ist doch die einzige Organisationsform des Lernens, wo noch Bildung - nicht Qualifikation - geschieht!

Thea Strichau: Ich habe Ende der 70er Familienbildung gemacht - sie war begrenzt auf Arbeit und Leben in der Familie. Damals war es ein Fortschritt, daß die Frauen mit ihrem Lebensbereich, sprich Hausarbeit, ernstgenommen werden. Heute geht es viel weiter, um Ökologie, um alles, was das Familien-Umfeld stört.

Jahns: Heute stellt sich die Gattungsfrage, die Überlebensfrage. Es gibt ganz neue Themen: Ökologie, Arbeitslosigkeit, Frauen.

Isenberg: Wer kommt denn?

Doris Bollinger: Das sind nicht nur akademische Frauen! Überraschend ist die Mischung. Es sind Angestellte beim Finanzamt, Betriebsrätinnen, Arbeiterinnen, Sozialpädagoginnen...

Klaus Körber: Früher hat man bewußt sozial homogene Gruppen gebildet. Heute ist wichtiger „Frauen“ als die Merkmalgruppe Gröpelingen/unterer Bildungsabschluß/Putzfrau.

Isenberg: Also früher Planungszugriff, und heute werden aus den Bewegungen selber Ansprüche in den BU getragen?

Strichau: Wir dachten doch Ende der 70er, in Schichtarbeiterse- minaren, wir müßten den Menschen den Widerspruch zwischen Lohnarbeit und Kapital deutlich machen! Heute will ich mit den Frauen rauskriegen, was die Ansprüche an sie sind und was dagegen ihre Wünsche, zu leben, zu fühlen, zu denken, zu handeln.

Bollinger: Früher ging es bei den Gewerkschaften erst mal um die Arbeitsbedingungen. Und dann kam noch die „Doppelbela

stung“. Inzwischen muß man den Frauen nicht erklären, was Sache ist - die sind in unheimlichen Identitätskrisen, ob Kinder, ob Beruf, ob Familie, das sind junge Frauen und solche mit 40.

Isenberg: Hätte man das schon vor 10 Jahren erkennen können?

Bollinger: Frauen hatten früher nicht verschiedene Wege im Leben. Und das Bewußtsein darüber ist ein Ergebnis der neuen Frauenbewgung Anfang der 70er.

Körber: Seit Männer - auch gebildete - viel häufiger Patchwork-Lebensläufe haben, sind Fragen von Identidentität und Lebensplan als ungeheures Problem von jedem und jeder bewußt geworden. Das kann man nicht bis nach der Revolution vertagen.

Strichau: Daß die Arbeit das einzig Befriedigende im Leben sein soll, daran glauben auch Männer zunehmend nicht mehr. Aber wer Haushalt und Kinder macht ist - in allen Bildungschichten - durchgehend noch klar. Aber das Leiden daran und die Konflikte sind deutlicher.

Isenberg: Aus individuellen Krisen kommen Neuentwürfe - auch für Bildung. Theo sagt, daß diese Entwicklung der 80er seine Organisation immer ausgezeichnet hätte. Laufen also manche Einrichtungen immer hinter den innovativen her?

Bollinger: Wir haben auch um '75 den Erfahrungsansatz vertreten und uns wie Du, Theo, bemüht, „die Leute ernst zu nehmen“. Aber den individuellen Prozeß der Menschen auf den Seminaren, den nehm‘ ich heute wichtiger.

Isenberg: Auch die frühere Arbeit hat ja „Lebenslagen“ zum Bezugspunkt gemacht. Als ökologische und soziale Gesamtzerstörung hat sich das ja eher noch daramatisiert! Ist es schlechte Utopie, daß subjektbezogen Bildungsarbeit zu Lösungen führen könnte?

Jahnke: Mitgliedschaft ist heute ein Problem. Gewerkschaft ist immer mehr Delegation, wie ein ADAC. Die Kolleginnen und Kollegen sagen: „Gewerkschaft ja - aber ohne mich!“ Noch mehr Plakate, mehr Aktionen - reicht nicht! Gewerkschaft muß begreifen, daß auch Familie, Gefühle, Körper, eine Rolle spielen. Ein DGB-Haus darf kein Behördenhaus werden, Gewerkschaft könnte eine Utopie werden, im Sinne von mehr Humanität, Glück...

Körber: Eine sympathische Utopie, Theo - aber was hat 'Glück‘ noch mit Gewerkschaften hier und heute zu tun?

Jahns: Entweder es wird so, oder sie wird im nächsten Jahrtausend keine Rolle mehr spielen.

Körber: So eine Bildungsarbeit hat mit den real existierenden Gewerkschaften immer zu Konflikten geführt, weil sie bürokratisch über Menschen verfügen.

Isenberg: Wesentliche Anstöße sind doch aus Bewegungen gekommen! Frauen, Ökologie... Die münden doch nicht alle in Gewerkschaften, da sind doch Autonomieansprüche!

Strichau: Menschen glauben nicht mehr einfach an kollektive Interessenvertretung. Menschen wollen Selbstverantwortung.

Jahns: Man muß auch zulassen, daß Menschen sich dann anders entscheiden...

Strichau: Die Gewerkschaft beklagt den Mangel an Mitgliedern, aber sie schafft keinen Raum für so etwas. Sie will Massen...

Isenberg: Es sind doch nur fünf Tage BU im Jahr, für vielleicht 10 Prozent der Leute - wo gibt es denn sonst Zuordnungen in Ökologie, Frauen, Frieden? Ist nicht eine Reduktion angesagt der Großorganisationen mit ihrem allumfassenden Anspruch?

Bollinger: Der kollektive Bezug kann im Laufe der Biografie wechseln. Junge Frauen haben Kinder, machen Kinderladengeschichten. Dann Elternbeirat, dann vielleicht nur Frauengruppe... Das ist kein Egozentrismus, sondern Verantwortung.

Strichau: Die machen schlicht, wovon jede Organsisation träumt: Sie übernehmen Verantwortung und handeln.

Körber: Ganz viele Organsisationen träumen davon eben nicht, daß die Mitglieder handeln. Da geht es um Verfügungsmasse und Stellvertreter.

Isenberg: Gibt es auch Lernen bei Organisationen?

Körber: Bei den Gewerkschaften geht es an den Nerv. Sie hatten und brauchten immer Subjektivitätsansprüche, um handeln zu können. Wenn der Steinkühler von Diskurs redet, meint er, Willensbildung ist kein Befehlsempfangsprozeß...

Bollinger: Aber wenn er eine Ingrid Kurz-Scherf vor ihrem Referat zusammenstaucht vor versam

melter Mannschaft, dann hat er das noch nicht gelernt!

Körber: In der eminent wichtigen Fragen der Arbeitszeit gerade für die Frauen - ist bei der IG Metall nicht das Papier der Frauen durchgekommen, sondern der Männergruppe aus der tarifpolitischen Abteilung - diese Widersprüche, Konflikte und internen Kämpfe treiben was voran, ohne die würden Organisationen nichts lernen!

Isenberg: Es ist Konsens: Es gilt sich zu beziehen auf Menschen. Paßt das zu den existierenden Organisationen? Ist das nicht immer ein Unterwerfungsverhältnis?

Jahns: Bildung ist immer im produktivem Widerspruch - das ist ja gerade das Spannende!

Körber: Politische Bildung dient, auch, den Funktionären, der Bestandserhaltung. Wir alle hier votieren für Bildungsarbeit, die Distanz und Widerspruch zu den Organisationszwecken und der Bestandserhaltung hält. Unzählige Menschen in Großorganisationen sind zufrieden, wie es funktioniert und haben eher Ängste - mit guten Gründen sich in Bewegung zu setzen.

Bollinger: Ich stell ja immer wieder fest - ich will ja, immer noch, daß Frauen für den Betriebsrat kandidieren aber doch nicht, weil ich sie belatschert hab!

Strichau: Ich hoffe, daß die Menschen in der Bildung Gegenerfahrungen machen, und ich hoffe, daß sie damit andere Menschen und Organisationen in Frage stellen - mit dieser Ahnung, wie breit das Leben sein kann.

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