Betriebsräte: Gremienarbeit- Banane?

■ Vier Bremer BetriebsrätInnen diskutierten über ihre Träume / Eine demokratische Gewerkschaftsbewegung soll die ArbeiterInnen auch zu aufmüpfigen StaatsbürgerInnen machen / Utopie: Eine Werft ohne Stacheldraht und Schlag-Baum

taz: Betriebsrats- und Gewerkschaftsarbeit, umfaßt das mehr als wirtschaftliche und soziale Fragen? Oder stecken da politische Elemente drin, die eure Arbeit in die Tradition der politischen Arbeiterbewegung rücken?

Christiane Woltersdorf: Die IG Metall hat die Vergesellschaftung der Stahlindustrie gefordert, um die Arbeitsplätze zu sichern. Ökonomie und Politik sind also nicht getrennt.

Fritz Bettelhäuser: In der Werftindustrie haben wir sehen müssen, daß die Unternehmer auf uns geschissen haben. Es kann nur eine politische Lösung der Krise geben. Und da genau sehe ich das Dilemma der Gewerkschaften. Die haben ja immer nur verbalradikal in der Satzung stehen: Vergesellschaftung der Schlüsselindustrien. Und jetzt sind sie am Ende der Fahnenstange angekommen, wo sich das als Papiertieger erweist. Wenn du da nicht resignieren willst, mußt du als Gewerkschafter wieder an die Basis gehen. Die ganze Gremienarbeit über Bord schmeißen, Banane!

Woltersdorf: Da gibt es sicher Unterschiede in den Branchen. Im Stahl sind wir zu branchenweiten Aktionen gekommen, als die Werke in Rheinhausen geschlossen worden sind.

Edmund Dinger: Politisch ist nicht nur, was außerhalb des Betriebes stattfindet. Eine andere

Sache ist mir wichtiger, die ich auch in enger Verbindung mit der Rätebwegung sehe, nämlich die Frage: Wie macht man die Betriebsratsarbeit. Früher hatten die Kollegen in unserem Betrieb die Einstellung: Wir haben den Betriebsrat gewählt, und er muß was für uns machen. Sie sind garnicht dazu angehalten worden, mitzumachen, oder gemeinsam mit dem Betriebsrat was zu entwikkeln. Das begreife ich als etwas Politisches, wie ich Betriebsratsarbeit mache: Wir dürfen nicht die großen Macker sein, sondern wir müssen dort anknüpfen, wo die Leute sich bewegen.

Als Betriebsrat muß man sich selbst überflüssig machen.

taz: Eure guten Absichten in Ehren. Aber bei den Betriebsratswahlen geschieht in der Regel das Gegenteil: Da wollen die Kandidaten sich keineswegs überflüssig machen. Sondern darstellen: Ich habe als Betriebsrat das und jenes für euch geleistet, ohne das ihr was dazutun mußtet.

Dinger: Das ist die falsche Haltung. Wir führen unseren Wahlkampf so nicht.

Woltersdorf: In Zusammenhang mit der Parteien-und Staatsverdrossenheit spielt die Demokratiefrage im Betrieb eine ganz besondere Rolle. Nicht nur als Lernprozeß, sondern als emanzipatorische Notwendigkeit, als Vorraussetzung, damit es überhaupt Bewegung gibt.

taz: Der Betrieb als einzige demokratische Schule, seitdem Staat und Parteien offensichtlich versumpft sind?

Bettelhäuser: Der Betrieb ja. Aber nicht die Betriebsräte und nicht die Gewerkschaften. Wenn du von der Verdrossenheit sprichst, kannst du die Neue Heimat und den Gewerkschaftssumpf nicht verschweigen.

Woltersdorf: Um so wichtiger, daß du als Betriebsrat durchschaubar bist.

Bettelhäuser: Das kannst du nur als Einzelperson, indem die Kollegen sehen: jawohl, der Kumpel ist integer, dem traue ich. Aber: Der Arbeiter traut keiner Institution mehr.

taz: Nicht nur Interessenvertretung, sondern Interessenwahrnehmung durch die Betroffenen selbst. Das ist das Ideal, das ihr hier alle vertretet. Wo kommt die Idee her? Ist das jetzt in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit en vogue?

Dinger: Das ist einfach die Erfahrung, daß man anders nichts erreicht. Die Betriebsrätebewegung ist ja historisch eine Basisbewegung: Die müssen die gleiche Erfahrung gemacht haben: Anders als auf diesem direkten, demokratischen Wege sind keine Erfolge möglich.

taz: Diese Art, die Interessen eurer Kollegen zu vertreten, hat die politische Folgen? Untergräbt sie die „freiheitlich -demokrati

sche Grundordnung? “

Dinger: Man kann das so hinspinnen, ja. Wenn das breit wird, daß die Leute in den Betrieben ihre Interessen selbst in die Hand nehmen... Das ist aber eine sehr theoretische Frage.

taz: Wieso theoretisch? Von Staatsverdrossenheit habt ihr eben gesprochen...

Ahlmann: Wenn die Kollegen mal ein Erfolgserlebnis im Betrieb haben, dann denken sie vielleicht: In dir steckt doch noch mehr drin, als nur zur Maloche zu gehen und abgeschlafft nach Hause zu kommen. Eigentlich kannst du doch noch mehr bewegen. Bettelhäuser: Da holen sie sich dann wieder ihre Nackenschläge ab.

taz: Vieles spielt sich ja außerhalb der Betriebe ab. Die KollegInnen sind ja nicht nur ArbeiterInnen, sondern in viele gesellschaftliche Funktionen eingebunden. Sind nicht Anstöße von außen für die Betriebe immer wieder nötig? Spielen die Impulse der Frauen-, Friedens-, Ökologiebewegung im Betrieb eine Rollen?

Woltersdorf: Viele Kollegen betätigen sich außerhalb des Betriebes in Bürgerinitiativen, tun aber im Betrieb nichts und ordnen sich unter. Wir haben es versäumt, die Impulse der „neuen sozialen Bewegungen“ in die Betriebe reinzuholen. Die Frauenbewegung hat ganz lange in der Gewerkschaft keine Rolle gespielt. Das

kommt jetzt ja eingentlich erst, das ist sehr spät.

taz: Gewerkschaften können nicht alles. Ich wünsche mit ein Bündnis zwischen der alten Arbeiterbewegung und den „neuen sozialen Bewegungen“.

Bettelhäuser: Die Frage ist verkehrt. Kollegen, die bei Friedensdemonstrationen oder bei Brokdorf demonstrieren wollten, die mußten sich ja lösen von ihrer Gewerkschaft. Du hättest ein Ausschlußverfahren gekriegt, wenn du die IG -Metall-Fahne nach Brokdorf mitgenommen hättest.

Dinger: Die Gewerkschaften haben jahrelang Stellvertreterpolitik gemacht, ohne Beteiligung ihrer Basis. Die neuen sozialen Bewegungen waren anders strukturiert und wurden deshalb von den Gewerkschaften ausgegrenzt. Die paßten einfach nicht zusammen. Die Leute sind heute oft die gleichen.

Woltersdorf: Warum sehen Kollegen, die sich in den neuen sozialen Bewegungen engagieren, in den Gewerkschaften keine Möglichkeiten. Sind manche Strukturen vielleicht zu hart?

taz: Nun zu einer anderen Frage: Gibt es heute in der Arbeiterbewegung Utopien? Wohin weisen die?

Ahlmann: Gewerkschaftler sollten sich nicht an etablierte Parteien hängen. Wir sollten eine eigene Interessengruppe aus der Erde stampfen, die politisch Ein

fluß nimmt. Die sich nicht an die Programme der SPD anhängt, sondern eine eigene Gewerkschaftspartei.

Dinger: Die Bewegung wird sich selbst ihre Utopien schaffen. Wenn die Leute in den Betrieben selbstbewußter werden und ihre Interessen selbst in ihre Hände nehmen, dann werden auch die Ziele der Bewegung klarer werden.

Woltersdorf: Utopien, das ist sehr schwer. In einer Situation, wo man keine Untopien hat und erst mal sehen muß: Was ist denn heute die Wirklichkeit, da muß man darauf achten, nicht zu resignieren oder sich korrumpieren zu lassen.

Bettelhäuser: Meine Utopie: Weg vom Betriebsfaschismus. Denn wenn man mal sieht, wie sich ein moderner Betrieb darstellt: Stacheldraht, keine Sichtverbindung zwischen drinnen und draußen. Geheimnisvoll. Pförtnerloge. Werkschutz. Schlag-Baum. Ausweiskontrolle. Passierschein. Das macht die Leute innerlich krank. Die können das Gefängnis nicht mehr ertragen. Das alles muß weg.

Ahlmann: Meine Utopie ist: Wenn ich zur Arbeit gehe, möchte ich das Gefühl haben, daß ich in den nächsten Stunden etwas nützliches dazu beitrage, daß diese, immer noch schöne Welt noch schöner wird.

Fragen: Hans Georg Isenberg