: Betriebsratsarbeit im Privatkombi
■ Eine ausgefallene Reportage: Was Journalisten über den Alltag der Arbeitnehmer-Interessenvertretung auf dem Klöckner-Gelände erfahren, bestimmt der Werkschutz und die Geschäftsleitung
Am Werkstor ist erst mal Schluß mit Journalismus. „Ausweis bitte!“ Ein Blauuniformierter, der aus einem runden Ärmelaufnäher „Klöckner-Werkschutz“ seine Macht bezieht, stoppt uns vor der Schranke direkt neben dem protzigen Verwaltungsgebäude, in dessen getönten Scheiben totschick die Novembersonne glitzert. „Wir wollen zum Betriebsrat der Fa. Hegemann Coil Carrier. Wir sollten hier abgeholt werden.“ - „Das müssen wir prüfen.“
Warten wir also. Der Mann tut auch nur seine Pflicht. Wir könn
ten ja wirklich von der Konkurrenz kommen oder vom KGB oder weiß der Himmel, woher. Während der oberste diensthabende Werkschützer mit unseren Presseausweisen verschwindet, um irgendwo heftig zu telefonieren und werkzuschützern, tippt uns jemand von hinten freundlich auf die Schulter: „Ich bin der Jochen Ahlmann. Wollt Ihr zu uns?“
Wollen wir verabredetermaßen, können wir aber noch lange nicht. Dafür hat der Werkschutz ein Pl mehr: Er muß überprüfen, ob Ahlmann wirklich Ahlmann und wirklich Betriebsrat ist, autorisiert, Gäste zu empfangen, die eine Reportage über den Alltag in einem Betriebsratsbüro machen wollen, in dem die Interessen von 33 Kollegen vertreten werden.
Nach einer Viertelstunde sitzen wir endlich in Ahlmanns Privatwagen, im Besitz eines Passierscheins und mit der Auflage keinesfalls zu fotografieren. Während wir links die riesigen Werkhallen der Walzstraßen liegenlassen, rechts an mannshohen Blech-Rollen, im Fachjargon „Coils“ genannt, vorbeifahren, erzählen wir nochmal, was wir eigentlich wollen: Den Arbeitstag eines Betriebsrats kennenlernen.
Vor einer blauen Baracke hält
Ahlmann. Rein zufällig (?) hält neben uns ein zweites Auto. Der Betriebsleiter. Ahlmann stellt, nichts Böses ahnend, vor: „Das sind Kollegen von der Presse, die interessieren sich für unsere Arbeit als Betriebsräte.“ „Damit das klar ist, ihr könnt reden, mit wem ihr wollt, aber nicht auf dem Be
triebsgelände.“ „Wir wollen doch nur ins Betriebsratsbüro.“ „Tut mir leid, ich habe meine Anweisungen.“
Ahlmann ist die Situation sichtlich unangenehm. Einmal hat er uns aus der Patsche geholfen, jetzt weiß er auch nicht recht weiter. Während er kurz im Büro ver
schwindet, um das beste aus der verkorksten Situation zu machen, müssen wir draußen warten.
Zehn Minuten später findet die „Reportage“ über Betriebsratsarbeit auf dem anscheinend einzig herrschaftsfreien Ort des riesigen Klöcknergeländes statt: Dem Privatauto eines Firmenangehörigen. Ein Betriebsrat auf dem Fahrersitz, ein Betriebsrat auf dem Beifahrersitz, Gespräch über die Schulter mit einem Reporter, der auf Anweisung der Geschäftsleitung nichts sehen, und einem Fotografen, der nicht fotografieren darf.
Was der Betriebsrat gestern sonst gemacht hätte? Sich vielleicht um den Bildungsurlaubsantrag eines Kollegen gekümmert, Abzüge auf dem Lohnstreifen für die Krankenversicherung überprüft, sich Klagen über defekte Heizungen angehört und natürlich vor allem mit Gabelstaplern von der Größe einer mittleren Dampflok riesige Blechrollen zwischen den Klöckner-Walzstraßen hin- und hertransportiert.
Trotzdem: Allen Beteiligten herzlichen Dank. Wir haben mehr über die Arbeitsbedingungen eines Betriebsrats in einem mittelständischen Unternhemen erfahren, als wir zu hoffen wagten.
K.S.
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