Trotz alledem: Alternative Medien als Lernprozeß

■ Zeigefinger-Bleiwüsten in de Krise / Treffen bewegter MedienmacherInnen Zukunftsperspektiven sind gefragt

Aus ihrem normalen Produktionsalltag sind letzte Woche rund 50 Medieninteressierte und -schaffende ausgebrochen, um in Saarbrücken zu diskutieren: Wie steht's um die Alternativmedien, und vor allem wie steht's um ihr politisches Selbstverständnis? Steckt die „alternative Öffentlichkeit in der Krise“, wie es das Thema des Treffens postulierte?

Offensichtlich ja, denn die links-alternativen Medien besitzen nicht mehr die Funktion, die sie einst groß gemacht haben: Die Stadtzeitung ist nicht mehr die einzige, die über den lokalen Öko-Skandal berichtet; Radio Dreyeckland funkt nicht mehr illegal aus Frankreich, sondern darf jetzt offiziell senden (ab diesem Mittwoch auf eigener ganzer Frequenz); die Öffentlichkeitsarbeit der Grünen Bundestagsfraktion produziert 3,5 Millionen Blatt Papier pro Jahr, die jedoch kaum Eingang in die Zeitungsspalten finden; einzelne, aus der Friedens-, Frauen- oder Anti-AKW-Bewegung hervorgegangene Zeitungsprojekte sind zu Institutionen geworden, aber die Bewegungen scheinen ihnen abhanden gekommen zu sein.

Krisenbetroffene Niedergeschlagenheit war jedoch keineswegs die beherrschende Stimmung auf der Tagung, die die Forschungsgruppe Neue Soziale Bewegungen organisiert hatte.

Daß das allgemeine „Alles-geht-nach-rechts„-Gejammere viel zu kurz greift, wurde in einem Vortrag über den Öffentlichkeits-Multi Greenpeace deutlich. Was die Präsenz in den Medien angeht, sind die „Öko-Piraten“ und „Umwelt -Cowboys“ konkurrenzlos. Noch die Greenpeace-Zeitschrift kommt auf eine „traumhafte“ Auflage von 600.000 Stück. Der Erfolg von Greenpeace basiert aber auch, so ergab die Diskussion, genau darauf, nicht Menschen zu Aktionen, sondern das schlechte Gewissen zum Griff ins Portemonnaie zu mobilisieren („Spenden Sie, damit wir weitermachen können!“). Diese „vorbildliche Tat einer kleinen Elite“ (in der Bundesrepublik sind es 21 AktivistInnen an der Zahl) ist aber so ziemlich das Gegenteil dessen, was für die in Saarbrücken Versammelten Zielsetzung einer aktiven politischen Bewegung ist.

Greenpeace kann also keineswegs Modell sein, die starre Ablehnung allein bringt die Alternativbewegung jedoch auch nicht weiter. Die Bereitschaft, sich mit dem „Phänomen Greenpeace“ offensiv auseinanderzusetzen, war erstaunlich groß. Denn aus dem öffentlichen Erfolg von Greenpeace ist zu lernen, daß die Linke in ihrer gut aufklärerischen Wortgläubigkeit den Wert und die Wirkung von Symbolhaftigkeit, die Einbeziehung von Gefühls- und Erlebniswelten sträflich rechts liegengelassen hat.

„Ich geh‘ zwar zu den Demos, aber lesen will ich die Flugblätter dazu wirklich nicht!“ Damit traf Bernd Ulrich das Dilemma auf den Kopf: Zeigefinger plus Bleiwüsten sind unzumutbar, langweilig, untauglich.

Auch die ursprüngliche Originalität der alternativen Öffentlichkeit, so die Kritik, ist versteinert; die Betroffenheit trieft nur noch. Die mit der Friedensbewegung so beliebt gewordene „Mahnwache“ veranstalten heute die religiösen ProtestiererInnen vor Scorceses Jesus-Film. Die Krise der alternativen Öffentlichkeit ist deshalb auch die Krise ihrer Formen.

Dabei ist es ja nicht so, daß die „linken“ Themen niemanden mehr interessieren. Der Erfolg der Kampagne gegen den IWF hat vielmehr gezeigt, daß ein großes Protest-Potential latent vorhanden ist, das mit Witz und Originalität, Trommelfeuer und Beweglichkeit durchaus, auch über Tage hinweg, zu mobilisieren ist.

Philippe Ressing sah diese Entwicklung jedoch skeptisch: Die Alternativbewegung, so der medienpolitische Mitarbeiter der grünen Bundestagsfraktion, drifte ab in ein Zeitgeist -gemäßes Surfboard-Reiten auf der jeweiligen Modewelle. Er beschwor die Gefahr, daß sich in der Linken postmoderne Geschichtslosigkeit einschleiche.

Ihm wurde prompt mit der Zukunftlosigkeit der traditionsfixierten „Alt-Linken“ gekontert. Denn das Einigeln in festgefahrenen Positionen lasse nur Abwehrkämpfe zu. Diese würden aber zunehmend untauglich in einer Zeit, in der die klaren Orientierungen, die (zu) einfachen Freund und Feindbilder vierlerorten ihre Verbindlichkeiten verlieren (Strauß ist tot).

Für einen zukunftsorientierten Aufbruch tut es Not, diese fehlende Klarheit nicht zu ignorieren, sondern offensiv anzunehmen. Die geplante „Bewegungszeitung mit Biß“, deren Konzeption Bernd Ulrich und Dieter Schöffmann auf dem Treffen präsentierten, will ihr Selbstverständnis genau aus dieser bewußten Suche nach Neuem gewinnen. Daß auch vieles an der Form der alternativen Medien krankt, ist für die beiden klar: Was fehlt, ist Spaß beim Machen wie beim Lesen, Sinnlichkeit der Gestaltung und Bildhaftigkeit der Sprache, Spannung und Entspannung. Ohne ins „Wienern“ zu verfallen, muß die zukünftige „beißfeste Bewegungszeitung“ das sich in permanenter Betroffenheit erschöpfende Starren auf die Umwelt-, Gen- oder Atomapokalypse überwinden. Es geht darum, die linken Inhalte und die scharfe Analyse des sich anhäufenden Katastrophenpotentials zu verbinden mit einem neuen Lebensgefühl, der legitimen Suche nach Lebensglück trotz alledem.

Das Treffen in Saarbücken blieb nicht beim Beklagen der Krise, vielmehr begriffen die TeilnehmerInnen alternative Medien als Lernprozeß. Der lebendige Erfahrungsaustausch und die neu aufgetankten Ideen weisen nach vorne.

Andrea Hösch / Bert Hoffmann

Ergebnisse des Treffens dokumentiert das im Januar kommenden Jahres erscheinende „Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen“, 1/89. Bezugsadrese: c/o Thomas Leif, Taunusstraße 66, 6200 Wiesbaden