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Geteilte Freude über Palästinas Staat

Das Flüchtlingslager Ain-el-Helwueh ist eine der Zielscheiben für israelische Luftangriffe im Südlibanon / Als vergangene Woche ein Palästinenserstaat vom Himmel fiel, kam es zu keinen Freudenausbrüchen im Lager / Die Anerkennung des Staates Israel erscheint hier als ein zu hoher Preis / „40 Jahre Kampf waren umsonst“  ■  Aus Beirut Petra Groll

Beißende Kälte kriecht durch die verwinkelten Gassen, die flachen Betonhäuschen, unter Wellblechdächer und Preßkartonwände. Mit verkniffenen Gesichtern schieben die Milizionäre teetrinkend vor den Büros der palästinensischen Parteien Wache.

Es ist Mittwoch, der 15.November. Entscheidendes hat sich in der letzten Nacht getan, zumindest für die rund fünf Millionen Palästinenser, von denen knapp 100.000 hier im südlibanesischen Flüchtlingslager Ain-el-Helwueh leben.

Eine Wagenladung von Journalisten ist unterwegs, um die Freude der Flüchtlinge über die Gründung eines unabhängigen palästinensischen Staates mitzuerleben. Spät nachts waren wir schon eingetroffen, mußten aber den Morgen abwarten: Die „innerpalästinensischen“ Spannungen, zwischen inner- und außerhalb des Dachverbandes PLO organisierten Parteien, seien zu groß, hatten Angehörige der in der Hafenstadt Saida herrschenden libanesischen Nasseristenmiliz gewarnt, als daß Journalisten, ausländische zumal, ausgerechnet in dieser kritischen Nacht der Proklamation eines palästinensischen Staates sich ins Lager begeben könnten. Auch bestünde Entführungsgefahr, nicht nur die Gruppe des Abu Nidal, „Al -Fatah-revolutionärer Rat“, mache heftig Front gegen die Versammlung des Palästinensischen Nationalrats (PNC) und alle Beschlüsse von Algier...

„Alf mabrouk“, begrüßen wir ein Grüppchen von Arbeitern, die schwatzend an einer der beiden Hauptstraßen des Camps stehen und offenbar auf ein Sammeltaxi warten, „Herzlichen Glückwunsch zum Staat“.

„Ach ja, einige von uns haben's heute morgen im Radio gehört“, sagt einer und stützt den Kopf auf die schwere Stielhacke. „Was soll man sagen... Allah k'bir“ - Gott ist groß. „Von uns kommt keiner aus der Westbank oder Ghaza, wir haben wohl kaum etwas damit zu tun.“ In der Tat stammen die palästinensischen Flüchtlinge im Libanon in erster Linie aus Nordisrael. Von Feiern und Fest hier in Ain-el-Helwueh wollen sie alle nichts wissen. Da sollen wir doch besser mal bei den Parteien vorsprechen.

Der Alte wird's schon wissen

Nach einigem Hin und Her finden wir die Vorsitzende der Palästinensischen Frauenunion im Libanon. „Ihr müßt entschuldigen“, sagt Emneh, „aus Sicherheitsgründen suchen alle verantwortlichen Kader ihre Büros nur für wenige Minuten täglich auf, das Risiko eines Luftangriffs ist einfach zu groß.“ Bei den insgesamt 13 israelischen Luftangriffen auf Ain-el-Helwueh kamen in diesem Jahr 24 Menschen ums Leben, über hundert weitere wurden nach offiziellen Angaben verletzt. Fast hätten wir es vergessen über den Triumphmeldungen aus Algier.

Auch Emneh weiß von geplanten Feiern oder Kundgebungen nichts. Sie hat die Nacht im Bett verbracht, nach einer anstrengenden Sitzung des Sicherheitskomitees. Beim Aufwachen hat sie Arafat im Radio gehört. „Es ist natürlich ein großer Tag“, hebt sie an, doch schon fällt ihr eine Nachbarin ins Wort. „Ja, ja, aber vergißt du die Resolution 242? Sie haben auch Ja zu 242 gesagt, als wären 40 Jahre Kampf umsonst gewesen, all die Märtyrer, ganz zu schweigen von allen anderen Opfern. Da kann man doch nicht erwarten, daß wir feiern...“, sprudelt es aus der knapp vierzigjährigen Frau heraus. Und nach einem Moment tiefen Luftholens: „Wir können das nicht verstehen, aber der 'Alte‘ („Chityar“ nennen vor allem die Angehörigen der Arafat -Organisation „Al-Fatah“ den PLO-Chef) wird wohl wissen, was er tut, darauf müssen wir vertrauen.“

„Natürlich ist die Anerkennung der UNO-Resolution 242 und damit auch Israels ein großes Problem für uns, da in diesem Text das Palästinenserproblem auf eine Flüchtlingsfrage beschränkt wird“, bestätigt Emneh, als sie uns zu den Al -Fatah in Ain-el-Helwueh begleitet. Eine merkwürdige Runde findet sich bald ein, Veteranen aller Kämpfe der Palästinenser im Libanon in den letzten zehn Jahren, bekannte Gesichter aus den langen Monaten der israelischen Invasion von 1982, der Belagerung Westbeiruts. Da ist Abu Yassir, ein Militär, der im Winter '83 zusammen mit Arafat und Abu Jihad im nordlibanesischen Tripoli die Unabhängigkeit der PLO gegen die pro-syrische „palästinensische Rettungsfront“ verteidigte. Da ist Sultan „Abu Iyad“, Militärboß der Al-Fatah in Bourj-el-Brajneh, nach drei Jahren „Lagerkrieg“ gegen die libanesische Schiitenmiliz „Amal“ schließlich in diesem Frühjahr aus dem Beiruter Camp evakuiert, und Emneh, nach dem Tod des legendären Ali Abu Toq ranghöchste Vertreterin Arafats in Chatila, dem heute fast bis zur Unkenntlichkeit zerstörten Lager, ebenfalls im Frühjahr nach Ain-el-Helwueh evakuiert.

Zu hoher Preis gezahlt

„Unsere Politisierung lief doch über die strikte Ablehnung der Resolution 242. Das war das Bewußtsein, daß wir nicht nur palästinensische Flüchtlinge sind, sondern ein Volk mit nationalen Rechten, unserer eigenen politischen Füphrung, unseren Institutionen, selbstbestimmt und nicht absorbiert in den arabischen Staaten, in denen wir Flüchtlinge bleiben bis zur Rückkehr nach Palästina.“ Es scheint, als wären Emnehs Worte nicht für unsere Ohren bestimmt. Und tatsächlich wechselt sie nach einem Moment des Schweigens das Thema. „Es gab einen Beschluß des 'Sicherheitskomitees‘, daß hier im Lager nicht gefeiert wird“, erläutert sie. „Jede Versammlung tagsüber wird wegen der drohenden Luftangriffe abgesagt. Und Al-Fatah hat alle Mitglieder aufgerufen, äußerste Ruhe zu bewahren. Wir wollen alles vermeiden, was von den pro-syrischen Parteien als 'Provokation‘ ausgelegt werden könnte. Schließlich haben sie alle zum Boykott des PNC in Algier aufgerufen.“ Doch ist in Chatila nicht unter viel härteren Bedingungen gefeiert worden?

Ein kurzer Halt an einem der Checkpoints an der Hauptstraße gibt uns Gelegenheit, mit einem Militanten zu sprechen. „Als Folge dieser Beschlüsse werden sie uns bald die Waffen abnehmen“, schimpft er und will von Freude nichts wissen. „Was haben wir im Gegenzug erhalten? Nein, die Anerkennung der 242 ist einfach zu viel. Wie diese Resolution verabschiedet werden konnte, verstehe ich nicht.“

Ein Flugblatt des Volksfront-Generalkommandos von Ahmed Jibril, das gegen Mittag in Ain-el-Helwueh auftaucht, bezeichnet diesen 15.November als „Schwarzen Tag“ in der palästinensischen Geschichte. Die Gruppe hat den PNC boykottiert. Es handelt sich zwar nur um eine recht schwache Splitterpartei, doch gewinnt sie durch die jüngste Aufrüstung seitens ihrer syrischen Rückenmacht an militärischer Bedeutung. Am späten Nachmittag überrascht uns eine Demonstration von knapp 500 Männern, die mit offenbar eilig gemalten Transparenten durch Ain-el-Helwueh ziehen. „Da ist unser palästinensischer Staat“, lesen wir erstaunt, „die PLO ist die einzig legitime Vertreterin des palästinensischen Volkes“ und: „Der unabhängige Staat ist Resultat des Kampfes der Lager im Libanon.“ Die für die Größe Ain-el-Helwuehs vergleichsweise jämmerliche Kundgebung wird von den von der Arbeit heimkehrenden Passanten kaum beachtet. Vielleicht war unsere Anwesenheit nicht ganz unschuldig am Zustandekommen der Transparente.

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